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Gehirnjogging
im Mutterleib
Die Geburt ist nicht der
entscheidende Schritt bei der Entwicklung des Gehirns. Das Denken und
Forschen beginnt schon viel früher - im Schutz des Mutterleibs.
Wäre es ein junger Vater gewesen, der mit
der Entdeckung prahlte: "Meine Kleine kann schon Gesichter schneiden,
wenn ich sie ihr vormache“, hätten seine Zuhörer nur nachsichtig gelächelt.
Schließlich halten alle Eltern ihre Neugeborenen für Genies. Doch es war
ein junger amerikanischer Psychologe namens Andrew Meltzoff, der Ende der
Siebzigerjahre das Erstaunliche beschrieb: Gerade mal drei Wochen alte
Babys sperrten den Mund auf, sobald man es ihnen vormachte. Sie streckten
die Zunge heraus, wenn man ihnen die Zunge zeigte.
Meltzoff ließ seine Versuchsbabys sicherheitshalber mit Video filmen und
zeigte die Aufnahmen unbeteiligten Kontrollpersonen. Die bestätigten, was
der Wissenschaftler beobachtet hatte: Kind öffnet den Mund, Kind streckt
die Zunge raus. Den Auslöser der Grimassen sahen sie dabei nicht.
Meltzoff wollte es genauer wissen: Hatte er eine angeborene Fähigkeit
entdeckt? Oder handelte es sich um eine frühe Lernerfahrung? Um das zu klären,
richtete er ein Labor neben dem Entbindungsraum einer Klinik seiner
Heimatstadt Seattle im US-Bundesstaat Washington ein. Er brachte werdende
Eltern dazu, ihn anzurufen, wenn die Wehen losgingen. Dann stürzte er –
fast wie ein junger Vater – aus Besprechungen oder Konferenzen heraus
ins Krankenhaus. Das jüngste Baby, vor dem er Grimassen schnitt, war
gerade mal 42 Minuten alt. Es imitierte auch!
Was das aus der Sicht der Hirnforschung bedeutet, haben Meltzoff und seine
Kolleginnen Patricia Kuhl und Alison Gopnik vor Kurzem noch einmal
zusammengefasst – in ihrem lesenswerten Buch "The Scientist in the
Crib“ (deutsch: "Forschergeist in Windeln“). Das Neugeborene weiß
bereits, wo es seine Zunge findet: im Mund, nicht außerhalb. Es scheint
also über eine innere Landkarte seiner Gesichtsregion zu verfügen. Das
Neugeborene kann erkennen, dass das ovale Ding vor seiner Nase ein
menschliches Gesicht ist, ein Gesicht wie sein eigenes. Dabei hat es sein
eigenes Gesicht nie gesehen – "Im Mutterleib gibt es keine Spiegel“,
wie die Autoren schreiben –, sondern nur "von innen“ gefühlt. So
winzig es ist, kann es also Erfahrungen aus einer Sinnesmodalität (Sehen)
in die andere (Fühlen) übertragen – eine reife Leistung!
Seit Meltzoffs Entdeckung hat die Säuglingsforschung einen großen
Aufschwung genommen. Das größere Wunder, das das Beobachtete überhaupt
erst ermöglichte, blieb aber zunächst unausgeleuchtet, das Wunder, das
vor der Geburt geschieht: Wie entsteht in gerade mal neun Monaten ein
Gehirn, das so viel kann, bevor es überhaupt mit dem Lernen anfängt?
Oder beginnt das Lernen schon früher – bereits im Mutterleib?
Jüngste technische Errungenschaften ermöglichen es, dass die
Wissenschaft darauf fundierte Antworten geben kann:
• Ultraschallaufnahmen in 4D, das heißt in simulierter Videotechnik,
machen erste Zuckungen des Embryos sichtbar, bevor die Mutter sie spürt:
schon ab der 7. Woche.
• Zusätzlich zeigen Aufnahmen des Ungeborenen-Gehirns mittels
Kernspintomographie, in welchen Regionen sein Denkorgan schon arbeitet und
wo es bereits Verdrahtungen anlegt.
• Und raffinierte Verhaltensexperimente belegen, dass ein Fötus schon
ein paar Wochen vor der Geburt fähig ist zu unterscheiden, ob ihm ein
altbekannter oder ein neuer Reim vorgelesen wird, wie Anthony DeCasper und
sein Team von der University of North Carolina herausfanden: Bei einem
neuen Reim fängt sein Herz an, heftiger zu schlagen.
Kein Wunder, dass solche spektakulären Funde ehrgeizige Eltern auf den
Plan rufen. In den USA beschallen sie die kleinen Wesen gezielt mit
Mozart-Sonaten oder leuchten mit Taschenlampen-Blitzen die Bauchdecke an,
einmal, zweimal, dreimal – um dem Fötus das Zählen beizubringen. Dabei
ist keineswegs klar, ob das Ungeborene sich von der Sound- und Light-Show
nicht eher gestört als unterhalten fühlt – schließlich braucht es am
Tag bis zu 20 Stunden Schlaf.
Dennoch sind auch vorsichtige deutsche Forscher wie der Neurobiologe
Gerald Hüther aus Göttingen von der neuen Pränatal-Wissenschaft
begeistert: "Vieles was die Forscher in den letzten Jahren
herausgefunden haben, spricht dafür, dass wir den spannendsten und
aufregendsten Teil der Lebensreise bereits hinter uns haben, wenn wir auf
die Welt kommen.“
Die Reise beginnt mit der Befruchtung des Eis und den ersten
Zellteilungen. Am 19. Tag nach der Befruchtung entwickelt sich die so
genannte Neuralplatte – erstes Nervengewebe entsteht. Das ist in etwa
der Zeitpunkt, an dem eine Frau merkt, dass ihre Periode überfällig ist
und durch einen Schwangerschaftstest von der Existenz des Embryos in ihrem
Bauch erfährt. Die Neuralplatte ändert ihre Form, wird zur Neuralleiste,
schließlich zum Neuralrohr. Am 26. Tag zeigt sich am Kopfende des Rohrs
eine Verdickung: Das Gehirn entsteht. Neurogenese nennt sich dieser
Vorgang, bei dem nun aus Hüllzellen Nervenzellen und die sie unterstützenden
Gliazellen gebildet werden. Doch was wie eine gemächliche Metamorphose
klingt, ist eigentlich eine Explosion, gefolgt von einer Völkerwanderung.
Denn die Mehrzahl der Gehirnzellen, die wir im Leben brauchen werden,
entsteht bereits in der ersten Hälfte der Schwangerschaft, also bis zur
19. Woche unserer Existenz. Die Produktionsrate ist atemberaubend: Mehr
als eine halbe Million Neuronen werden in einer einzigen Minute gebildet!
Die neuen Zellen – sie bestehen nur aus einem länglichen Zellkörper
mit zwei haarähnlichen Fortsätzen – begeben sich unverzüglich auf
Wanderschaft. Entlang von Strängen, die von Gliazellen gebildet werden
und ihnen den Weg weisen, migrieren die Neuronen von ihrer
Entstehungsstelle im Inneren des Kopfs nach außen. In der 19. Woche sind
alle wichtigen Hirnstrukturen schon anatomisch erkennbar angelegt. Doch
Masse macht noch keine Klasse. Und so vergleicht die amerikanische
Neurobiologin Lise Eliot von der Chicago Medical School das mit Zellen
vollgestopfte Halbzeit-Gehirn mit einer höchst unvollkommenen
Telefonanlage: "Es ist, als besäßen alle sechs Milliarden Menschen auf
der Erde je an die zwanzig Telefone, die alle nicht angeschlossen sind.
Das Kommunikationspotenzial ist enorm, aber es muss erst in die Tat
umgesetzt werden.“
Im Gehirn beginnt jetzt die Hauptarbeit, die Synapsenbildung: Die Neuronen
nehmen miteinander Kontakt auf, verschalten sich. Die Synapsenbildung
zieht sich bis ins zweite Lebensjahr des Kindes hin. In Spitzenzeiten
explodiert das Gehirn geradezu: 1,8 Millionen neue Synapsen entstehen pro
Sekunde.
Viel zu zahlreich und aufs Geratewohl werden die ersten Verknüpfungen
angelegt – nicht etwa nach Plan wie bei der Telekom. Doch das ist nicht
schlimm. Denn das Gehirn der Säugetiere ist darauf angelegt, das Zuviel
wieder abzubauen, nach dem Motto "Beseitigung bei Nichtgebrauch“. Lise
Eliot präzisiert: "Synapsen, die selten aktiviert werden – ob wegen
nie gehörter Sprachen, nie gespielter Musik, nie ausgeübter Sportarten,
nie gesehener Berge oder nie empfundener Liebe –, verkümmern und
sterben ab.“ In der frühen Kindheit und Jugend büßt das Gehirn
Synapsen in der Größenordnung von 20 Milliarden täglich ein. Ein ganz
normaler, wenn auch vielleicht ein wenig Wehmut auslösender
Ausleseprozess.
Doch während im fötalen Gehirn einzelne Regionen noch wie von einem
Trupp wildgewordener Techniker anarchisch vernetzt werden, ziehen anderswo
Spezialisten schon stabile Leitungen ein. Lange Faserverbindungen werden
mit der Isolierschicht Myelin verkleidet, damit ihre elektrischen Signale
schneller und zuverlässiger ihr Ziel erreichen.
Wie Entwicklungsbiologen herausgefunden haben, geschieht dies in enger
Wechselwirkung zwischen Genetik und Umwelt und streng der Reihe nach: Erst
werden in den älteren Teilen des Nervensystems, die unbewusste Prozesse
wie Bewegungsreflexe, Atmung, Kreislauf und Verdauung regeln, die
Leitungen dauerhaft isoliert. Dann erst geschieht dies in den höheren
Regionen, wo das Wahrnehmen, das Planen und Denken sich entwickeln.
Die Hardware wird also allmählich ausgebaut, während das Programm schon
läuft – "on the fly“, wie Computerfachleute sagen. Das lässt sich
am besten am Beispiel der verschiedenen Sinne zeigen, die beim Ungeborenen
nach und nach erwachen: Schon fünfeinhalb Wochen nach der Zeugung können
Embryonen eine Berührung der Lippen oder Nase spüren. Mediziner haben
das durch Tests an Fehlgeburten herausgefunden: Sie schauten sich
Embryonen genau an, die noch ein paar Minuten lebten, nachdem sie
abgegangen waren. Die gerade zwei Zentimeter kleinen Wesen drehten den
Kopf weg, wenn man sie mit einem Haar im Gesicht berührte. Die Berührungsempfindlichkeit
dehnt sich im Laufe der Schwangerschaft über den ganzen Körper des
Kindes aus.
Die verantwortlichen Sinneszellen der Haut vernetzen sich dabei zuerst mit
motorischen Zellen des Rückenmarks – so kommen die frühen
Ausweichreflexe zustande. Im weiteren Verlauf der Schwangerschaft werden
Verknüpfungen zum Hirnstamm, zum Thalamus im Zwischenhirn und schließlich
zum Großhirn angelegt, wo in der zweiten Schwangerschaftshälfte die
erste "Landkarte“ des kleinen Körpers entsteht.
Im Wesentlichen wird sie durch Berührungsreize ausgemessen, und zwar
aktiv: "Während das Baby um sich tritt, Arme und Beine anzieht und
streckt, sein Gesicht und seine Beine berührt und an die Uteruswände stößt,
verschafft es sich selbst eine Fülle somatosensorischer Reize“, erklärt
Eliot. Im Kopf entsteht elektrische Aktivität, mit deren Hilfe die berührungsempfindlichen
Neuronen ihren Platz im Hirnstamm, im Thalamus und schließlich im Kortex
finden. Das Baby-Turnen im Mutterleib, das im Ultraschall so lustig
aussieht, hat also einen ganz konkreten Zweck.
Riechen und Schmecken sind weitere wichtige Sinne, die im Uterus bereits
entwickelt werden. Das Ungeborene wird zwar noch von der Mutter über die
Plazenta mit Nährstoffen versorgt, aber es trinkt auch Fruchtwasser,
gegen Ende der Schwangerschaft bis zu 400 Milliliter am Tag. In
Tierversuchen hatten Forscher dem Fruchtwasser von Kaninchen vor der
Geburt Zitronenaroma zugesetzt. Als Folge suchten die Neugeborenen die
Zitzen überall dort, wo es nach Zitrone roch, mitunter sogar auf dem Rücken
ihrer Mutter. Entwicklungsforscher vermuten deshalb, dass auch Menschen im
Mutterleib ihre Geschmacksknospen trainieren und so lernen, wie ihre
Mutter schmeckt und riecht.
Über die Nase kann das Ungeborene von der 28. Woche an Gerüche
wahrnehmen, sobald sich ein Gewebepfropf löst, der vorher die Nasenlöcher
verstopft hat. Man weiß aus Experimenten an Frühgeborenen, dass sie um
diese Zeit auf starke Gerüche mit Saugen, Gesichtverziehen oder
Kopfabwenden zu reagieren beginnen. Jüngere Frühchen reagieren nicht.
Früh beginnt auch das Gehör zu reifen, was Wissenschaftler daran
erkennen, dass schon in der 24. Schwangerschaftswoche die ersten Fasern
der Hörbahn mit Myelin ummantelt werden. Das Hör-Erleben der Ungeborenen
hat viele Forscher fasziniert. Sie haben Messungen des Schalldrucks im
Uterus vorgenommen – mit dem Ergebnis: Es ist ziemlich laut da drinnen.
Nicht nur die Stimme der Mutter, auch ihr Herzschlag und das strömende
Blut in ihren Adern, ihre Atmung und das Gluckern in ihrem Gedärm machen
einen Heidenlärm. "Allein von den Strömungsgeräuschen her kann man
das Leben im Mutterleib mit dem Leben an einer Autobahn vergleichen“,
schreibt der Kinderarzt Michael Hertl in seinem Buch "Die Welt des
ungeborenen Kindes“. "Aber dem Kind macht das offenbar wenig aus.“
Im Gegenteil: Es scheint da drinnen zu lauschen, was draußen vorgeht. Auf
neue Töne reagiert der Fötus mit Kopf- und Armbewegungen, mit
Augenzwinkern und einer Beschleunigung des Herzschlags – auf gewohnte Töne
gelangweilt, das heißt gar nicht. Das macht Experimente möglich, die zum
Beispiel zeigen, dass ältere Föten die Vokale "a“ und "i“
unterscheiden können.
Als man Babys nach der Geburt untersuchte, stellte sich heraus, dass sie
sich tatsächlich manches eingeprägt hatten von dem, was vor der Geburt
an ihr Ohr gedrungen war: So erkannten sie die Stimme ihrer Mutter wieder.
Wissenschaftler machen das daran fest, dass die Kinder ein Tonband mit der
mütterlichen Stimme lieber hörten als ein Tonband mit einer fremden
Stimme. Andere Säuglinge hörten auf zu weinen, wenn im Fernsehen die
Erkennungsmelodie einer Seifenoper ertönte, die ihre Mutter sich in der
Schwangerschaft regelmäßig angesehen hatte. Eliots zweites Kind war
allerdings etwas anderes gewöhnt: Es bevorzugte als Schlaflied das
Ventilator-Brummen des Büro-Computers.
Die Frage, ob das Lernen schon im Mutterleib anfängt, scheint damit
beantwortet zu sein. "Die Hirnforschung hat eindeutig gezeigt, dass
Kinder bereits lange vor der Geburt in der Lage sind zu lernen“, sagt
Gerald Hüther. "Sie sammeln bereits Erfahrungen über die
Beschaffenheit ihrer Lebenswelt und verankern diese in ihrem Gehirn. All
das, was ein Neugeborenes an Fähigkeiten und Fertigkeiten mit auf die
Welt bringt, hat es im Mutterleib bereits in der einen oder anderen Weise
kennen gelernt, sich angeeignet und geübt.“
Wie die Forschungen der Amerikanerin Alison Gopnik an der University of
California in Berkeley zur Sprachentwicklung von Babys gezeigt haben,
ist das Verlernen dabei mindestens genauso typisch wie das Lernen.
Beweis: Neugeborene können viel mehr Laute auseinander halten als
Erwachsene. Auch ein japanisches Baby unterscheidet mühelos l und
r. Mit dem Namen "Zbigniew Brzezinski“ haben Erwachsene
Mühe, wenn sie nicht gerade aus Polen stammen; Kinder lernen die
Laute mühelos, wenn sie im ersten Lebensjahr von Polen adoptiert
werden. "Babys sind einfach Weltbürger“, meint Gopnik.
Ein Befund aus der Gesichterforschung passt ins Bild: Babys können
nicht nur die Gesichter von einzelnen Menschen unterscheiden, sondern
auch die von einzelnen Schimpansen. Erst im zweiten Lebensjahr verliert
sich diese urwaldgerechte Fähigkeit. Es hat wohl etwas mit dem
milliardenfachen "Ausjäten“ von Synapsen in ihrem Hirn zu
tun.
Wie wichtig "Selbermachen“ für die frühe Entwicklung ist, zeigt ein
inzwischen klassischer Tierversuch aus den USA: Zwei Kätzchen wurden auf
ein Karussell gesetzt. Das eine hatte die Pfoten auf dem Boden und konnte
durch sein Laufen das Karussell bewegen. Das andere saß in der Gondel und
wurde passiv transportiert. Ergebnis: Die Tiere unterschieden sich später
stark in ihren kognitiven Leistungen. Das nur beobachtende war nahezu
blind und in der Koordination seiner Bewegungen schwer gestört.
Das Prinzip "Selbermachen“ erklärt, warum Ungeborene bestimmte Fähigkeiten
schon einüben, obwohl sie sie im Uterus noch gar nicht brauchen, aber
gleich danach: Atmen beispielsweise, Schlucken, Grinsen oder Weinen.
Fingen sie erst nach der Geburt mit dem Üben an, wären sie in den ersten
Tagen übel dran.
Über eines sind sich alle Hirnforscher einig, die sich mit sehr jungen
Exemplaren der Spezies Homo sapiens beschäftigen: Der Mensch bringt
erhebliches angeborenes Wissen mit auf die Welt und dazu Lernprogramme,
die ihm helfen, sich selbst die Welt zu erschließen. Wolf Singer vom
Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main nennt sie
interne Bewertungssysteme. Diese sind mit großer Wahrscheinlichkeit
genetisch festgelegt. Von einigen weiß man bereits, wie sie auf
neuronaler Ebene ablaufen. So kann man die Gewöhnung an bekannte Reize
mit der Abnahme der elektrischen Aktivität erklären, wenn ein Nerv immer
wieder auf dieselbe Art gereizt wird. Ein neuer Reiz regt andere Neuronen
an und erregt mehr Aufmerksamkeit im Gehirn. Aber gibt es nicht vielleicht
noch einen zusätzlichen Antrieb, der ein kleines Kind das Neue suchen lässt?
Über einen solchen "Suchtrieb“ wird spekuliert, bewiesen ist er
nicht. Jedoch ist das hirneigene Belohnungssystem, das uns glücklich
macht, wenn wir ein Problem endlich geknackt haben, bereits einigermaßen
gut untersucht.
Auch das großartige Imitationsvermögen von Säuglingen, das Andrew
Meltzoff vor 25 Jahren in Seattle beobachtet hat, lässt sich seit der
Entdeckung der Spiegelneuronen durch die italienischen Forscher Vittorio
Gallese und Giacomo Rizzolatti in den frühen Neunzigern besser erklären:
Offensichtlich verfügt der Mensch von Natur aus über Nervenzellen, die
nicht nur seine eigenen Handlungsabsichten kodieren, sondern auch die
seines Gegenübers decodieren – eine Zelle für beide Zwecke.
Aber sind es dieselben Zellen, die dem Baby nahe legen: Imitiere die
Erwachsenen? Der Psychiater Joachim Bauer von der Freiburger Universitätsklinik
meint: "Ja. Handlungen und Verhaltensweisen zu imitieren, die wir bei
anderen beobachten, ist ein durch Spiegelneuronen vermittelter
menschlicher Grundantrieb.“ Bei Säuglingen und Kleinkindern ist dieser
Antrieb noch völlig ungehemmt. Erst später unterdrücken ihn Neuronen
aus dem Stirnhirn.
JUDITH RAUCH
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