|
Archäologie:
Beim Historien-Puzzle fügen sich die Teile auch durch
Magnetometer, Datenbanken und VR-Systeme zusammen
Mit
Hightech in Trojas Vergangenheit stöbern
Heinrich Schliemann entdeckte auf
dem Hügel Hisarlik 1871 das antike Troja. Seit 15 Jahren gräbt der
Tübinger Ur- und Frühgeschichtler Prof. Manfred Korfmann an der
berühmten Stätte. Unterstützt wird er dabei von modernster Technik und
Naturwissenschaftlern, Ingenieuren und Informatikern.
Über der
Ruinenstätte an den Dardanellen schimmert der Halbmond. Auf der Bühne trägt
eine Theatergruppe aus Berlin Verse aus der Ilias vor, Homers Epos vom
Trojanischen Krieg. Nach der Umbaupause ein abrupter Zeitsprung: Zwei Großleinwände
sind aufgebaut; davor hantieren junge Leute an zwei Computern. Im
Auditorium wird es still, denn auf der rechten Leinwand ist jetzt eine
Animation zu sehen: ein Rundflug über die Residenzstadt Troja, wie sie
kurz vor ihrem kriegerischen Untergang um das Jahr 1200 vor Christus
ausgesehen haben mag. Natürlich gab es (abgesehen vom sagenhaften Ikarus)
noch keine Flugzeuge um diese Zeit. Der moderne Zuschauer mag sich
vorstellen, er reise auf dem Rücken eines Storchs.
Vor der linken Leinwand setzt der Österreicher Dr. Peter Jablonka zu
einem Vortrag an, der Satz für Satz ins Türkische übersetzt wird. Der
42jährige Archäologe arbeitet seit vielen Jahren in Korfmanns Ausgräberteam.
Seit 2001 ist er aber auch Herr über das "Virtuelle Troja". Was
es damit auf sich hat, demonstriert er in Form von Diagrammen, Plänen und
Fotos auf der linken Leinwand: "Troia-VR", eine Entwicklung der
Universität Tübingen und der Berliner Firma Art+Com AG, ist zum einen
ein Präsentationssystem, mit dem sich 5000 Jahre wechselvoller
Stadtgeschichte dreidimensional und animiert in grafischen
Rekonstruktionen sichtbar machen lassen – in Museen, Ausstellungen oder
bei Vorträgen.
Troia-VR ist aber auch ein Informations- und Dokumentationssystem, mit dem
Archäologen effektiv arbeiten können und das für zukünftige
Ausgrabungsprojekte Maßstäbe setzen wird. In Jablonkas Worten: "Ein
Archiv von hunderten von Plänen, Zehntausenden von Bildern, eine
Bibliothek mit tausenden von Aufsätzen und Büchern." Schliemanns
Notizen und Zeichnungen sind hier ebenso eingeflossen wie die seiner
Nachfolger Wilhelm Dörpfeld, Carl W. Blegen und Manfred Korfmann.
Technisch gesehen, besteht Troia-VR aus einer Datenbank, einem
Geographischen Informationssystem (GIS) und archäologie-spezifischen
Programmen. Mit diesen Werkzeugen kann ein Archäologe zum Beispiel Größe
und Struktur verschiedener Siedlungen vergleichen, Funde und ihre räumliche
Verteilung statistisch auswerten, aus einzelnen Scherben ganze Krüge
rekonstruieren, Bilder für Publikationen oder Schautafeln für
Ausstellungen erzeugen. Zwei Jahre Entwicklungszeit und knapp 2 Mio. €
hat es gekostet, fast die Hälfte brachten die beteiligten Firmen als
Eigeninvestition ein.
"Archäologie ist nicht nur Ausgraben", betont Jablonka zum
Schluss seines Vortrags. "Unsere Wissenschaft folgt dem Trend zur
Virtualisierung. Wir forschen immer stärker an Daten statt an Objekten,
das heißt: Die Wirklichkeit wird ersetzt durch eine Informationsschicht.
Das mag man gut finden oder nicht."
Unter den Zuschauern ist auch Christian Hübner (44)aus Freiburg. Der
Diplom-Geologe ist zum zweiten Mal in Troja. Denn seine Firma GGH bietet
eine besondere Dienstleistung für Archäologen an: Geophysische
Prospektion. Das ist eine Art Bodenröntgen: Mit Magnetometern – Messgeräten,
die Strukturen im Boden bis in rund zwei Meter Tiefe sichtbar machen –
wird das Gelände abgescannt. Messpunkt für Messpunkt entsteht auf diese
Art eine unterirdische Landkarte im Raster 50 mal 15 Zentimeter. "Wir
arbeiten mit Cäsium-Magnetometern", sagt Hübner stolz, "das
sind die genauesten, die es derzeit gibt."
Diplom-Physiker Hans Günter Jansen, 74, hat die Methode vor elf Jahren in
Troja eingeführt. Der spät berufene Archäologe, der bis zur Frühpensionierung
als Experte für Halbleitertechnologie bei IBM gearbeitet hatte, streifte
jahrelang allein mit der Magnetsonde durch die Felder und Wiesen rund um
den Burgberg von Troja, unter denen die Reste der ehemaligen Stadt
verborgen sind. Dabei entstand ein deutliches Bild der quadratisch-regelmäßigen
römischen Bebauung – "ein richtiger Stadtplan", wie
Grabungsleiter Korfmann sagt.
1992 dann ein ganz sensationeller Befund: eine krumme Linie mitten im römischen
Straßenkaro deutete auf eine weit frühere Stadtgrenze hin. Was die
Prospektoren zunächst für eine Mauer hielten, stellte sich bei
Probegrabungen als Graben aus dem zweiten vorchristlichen Jahrtausend
heraus – vermutlich ein Hindernis für angreifende Streitwagen! Die Außengrenze
von Homers Troja war entdeckt.
"In diesem Jahr kartieren wir die letzten Flächen im östlichen
Stadtgebiet", sagt Hübner. Während er in einer Baracke am Rande des
Burghügels vor dem Bildschirm sitzt, ist sein türkischer Assistent mit
dem Magnetometer in der Hitze auf den Feldern unterwegs; ab und zu meldet
er sich übers Funkgerät. Hübner demonstriert, wie die
Magnetometer-Messungen in aktuelle Luftbilder oder eine Satellitenkarte
der NASA eingetragen werden – so zeichnet sich das Troja von gestern auf
dem Troja von heute ab. Selbstverständlich werden alle Daten in Jablonkas
VR-System eingepflegt.
Heinrich Schliemann wäre wohl vor Neid erblasst, hätte er Hübners
Apparaturen zu sehen bekommen. Dem Pionier blieb zu seiner Zeit nichts
anderes übrig, als gleich zum Spaten zu greifen. Eine 40 Meter breite und
17 Meter tiefe Schneise grub er in den völlig überwucherten Hisarlik-Hügel
und zerstörte dabei die oberen Schichten. Dieser so genannte
Schliemann-Graben ist heute noch deutlich sichtbar.
"Für seine Zeit war das die richtige Methode. Schliemann konnte
nicht anders handeln", sagt Manfred Korfmann, während er eine Gruppe
Besucher über den Burghügel führt. Der Tübinger Professor für Ur- und
Frühgeschichte lässt auf den berühmten Vorgänger nichts kommen:
"Die Troja-Grabungen waren schon in den ersten Jahren
vorbildlich." Schliemann ließ bereits Metalle und Keramik chemisch
analysieren, Pflanzenreste, Menschen- und Tierknochen untersuchen; er
benutzte statistische Methoden und führte ein Tagebuch. Bei allen
naturwissenschaftlichen Untersuchungen unterstützte ihn der Berliner Arzt
Rudolf Virchow.
Nachfolger Korfmann, dessen Arbeit in den vergangenen 15 Jahren großzügig
von Daimler-Chrysler gefördert wurde, legt ebenfalls größten Wert
darauf, dass in seinem Team interdisziplinär gearbeitet wird. Auf die
Naturwissenschaftler und Techniker, die ihm zuarbeiten, ist er besonders
stolz.
Virchows Rolle ist im Korfmann-Team sogar doppelt besetzt: Die organischen
Wissenschaften – Archäozoologie, Archäobotanik und Archäomedizin –
koordiniert der Tübinger Prof. Hans-Peter Uerpmann, der sowohl
Tiermedizin als auch Ur- und Frühgeschichte studiert hat. Zu den
High-Tech-Methoden, die in Uerpmanns
Ressort angewendet werden, gehört neben der seit 1946 bekannten
Radiokarbon- oder C14-Methode zur Datierung von Holz oder Knochen auch die
Beschleuniger-Massenspektroskopie, mit der selbst ein einzelner Pferdezahn
noch datiert werden kann. Selbstverständlich werden solche Feinmessungen
nicht während der sommerlichen Grabungskampagnen in Troja angestellt,
sondern in diversen physikalischen Labors zur Winterzeit.
Der andere Virchow-Nachfolger ist Prof. Ernst Pernicka aus
Freiberg/Sachsen. Der gebürtige Wiener hat Chemie studiert und sich auf
Mineralogie spezialisiert. Seit mehr als zwanzig Jahren bereist er antike
Berg- und Hüttenwerke in ganz Europa und Asien, um zu erforschen, woher
die Metalle kommen, die in Troja gefunden werden. Zur Analyse seiner
Proben benutzt er High-Tech-Verfahren wie Isotopen-, Röntgenfluoreszenz-
und Neutronenaktivierungsanalyse.
Mit diesen Hilfsmitteln ist er einem Rätsel auf der Spur, das sich
ebenfalls schon Schliemann gestellt hat: Woher kam das Zinn, das die
Trojaner für ihre Bronze verwendeten? "Meine Messungen deuten auf
Mittelasien – Kirgisien, Kasachstan oder Tadschikistan", sagt
Pernicka. Im zweiten und dritten Jahrtausend vor Christus waren die
Handelswege schon sehr ausgedehnt!
Eine Frage kann der reisende Mineraloge noch nicht beantworten: Woher
stammt das Gold, das Schliemann gefunden hat? "Das ist eine offene
Frage", sagt Pernicka. Sicher nicht die einzige, die nach 132 Jahren
Troja-Archäologie zu erforschen bleibt.
JUDITH RAUCH
http://www.uni-tuebingen.de/troia/deu/index.html
http://www.uni-tuebingen.de/troia/vr/
Methode:
Geomagnetische Prospektion
Das Grundprinzip der Methode, die auch bei der Suche nach Erzlagerstätten
angewandt wird, beruht auf der Beobachtung, dass die Stärke des
erdmagnetischen Feldes von den normalen Werten der Umgebung abweicht, wenn
ein Fremdkörper im Boden liegt. Solche Feldstärke-Anomalien erscheinen
nicht nur über Eisenobjekten (in Troja wurde auch schon einmal ein
vergrabener Traktor auf diese Art gefunden), sondern ebenso über Gräbern,
Siedlungsgruben, Mauerfundamenten, Wasserleitungen und Brennöfen.
Positive Abweichungen rühren beispielsweise von gebrannten Tongegenständen
oder Lehmziegeln her, die magnetisch wirksamere Mineralien enthalten.
Dagegen enthalten manche Gesteine kaum Eisenoxide und reagieren deshalb
negativ.
(jr)
Mehr
zum Thema: Reportage "Sagenhaftes Troja"
Dossier
Troja
Home | Kontakt | Datenschutzerklärung | Impressum
Fenster schließen
|
|