Judith Rauch schreibt: Psychologie heute Juli 2001

Fortschritt:

Wer hat Angst vor der neuen Technik?

Die Mehrheit der Deutschen ist nicht technikfeindlich, beobachtet neue Entwicklungen aber mit vorsichtiger Skepsis. Das gilt vor allem für Frauen, die nicht so schnell zu begeistern sind wie Männer.

2000 war kein gutes Jahr für die Fans des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Schon zum Neujahrstag wurde der Computer-GAU ausgerufen, der dann zum Glück nicht eintrat. Im April warnte dann ein amerikanischer High-Tech-Unternehmer namens Bill Joy vor der Machtübernahme der Roboter über die Menschheit. Und obwohl die Entschlüsselung des Humangenoms im Sommer Anlass zu freudigen Schlagzeilen gab, belegten Studien, dass die Akzeptanz der Gentechnik weltweit abnahm. Aus Angst, dass Handystrahlen Krebs auslösen könnten, wurden Bürgerinitiativen gegen Sendemasten gegründet, obwohl die Wissenschaft bisher nur Beruhigendes zu diesem Thema mitzuteilen hat. Die Concorde stürzte ab. Die Kursk versank. Und am Schluss des Jahres brach dann noch die lange verdrängte BSE-Krise voll über Deutschland herein.

Technikängste, ob begründet oder nicht, spielen eine so große Rolle in Alltag und Zeitgeschehen, dass man sich wundert, warum so wenig darüber geforscht wird. Nur eine einzige deutsche Veröffentlichung verspricht schon im Titel Aufklärung über Technikängste und wie man damit umgeht. Die Studie des Psychologen Hans-Christian Röglin entstand 1994 im Auftrag von Pharmafirmen und Energieversorgern. Röglin konstatiert, dass "Ängste der Bürger, medial verstärkt, vagabundierend ins Leere laufen" und "sinnlos Forschung und Entwicklung (…) verhindern" können. Er meint aber auch, dass sie "Warnungen vor Fehlentwicklungen" sein können und auf diese Weise technische und wissenschaftliche Innovationen vorantreiben. Ambivalenz der Angst.

Dank der Demoskopen von Allensbach wissen wir, dass "moderne Technik" heute von etwas mehr als der Hälfte der Deutschen (53 Prozent) als ein Segen empfunden wird, von 9 Prozent als Fluch und von 38 Prozent als "weder noch". In den Wirtschaftswunderjahren war das anders. Damals, in den Sechzigern, begrüßten mehr als drei Viertel den technischen Fortschritt als Segen, nur drei Prozent erschien er als Fluch. Ambivalenz der Technik.

Michael M. Zwick, der zusammen mit Ortwin Renn im Auftrag der Stuttgarter Akademie für Technikfolgenabschätzung die Einstellungen der Baden-Württemberger systematisch unter die Lupe nahm, hält die Deutschen nicht für generell technikfeindlich und risikoscheu. "Aber wir sind vorsichtiger geworden", sagt er. "Im Gegensatz zu den Menschen in der Dritten Welt kennen wir die ambivalenten Folgen von Technik: Hoher Lebensstandard, Wohlfahrt auf der einen Seite. Auf der anderen Seite haben wir auch vollen Bewusstseins und klaren Sinnes die ganzen Technikkatastrophen wahrgenommen: die direkten und die latenten wie die Klimagefährdung."

Der Soziologe weiß auch, dass Laien andere "Risikoheuristiken" haben als Experten, was das Gespräch zwischen beiden Gruppen manchmal recht unerquicklich macht. Während Experten ein Risiko schlicht mathematisch als Produkt aus Schadenshöhe mal Eintrittswahrscheinlichkeit berechnen, zieht der Laie noch ganz andere Dinge ins Kalkül: Ein plötzlicher Massenschaden wie etwa ein Flugzeugabsturz erscheint ihm schlimmer als der alltäglich sich summierende Tod auf der Autobahn. Dass ein atomarer GAU nur sehr selten eintritt, beruhigt den Laien nicht; denn selten kann auch morgen sein. Und vor allem ist ihm wichtig, ob er sich ein Gesundheitsrisiko selbst ausgesucht hat (wie Bungeejumping oder Rauchen) oder ob es ihm zugemutet worden ist (etwa ein Chemieunfall oder Strahlenbelastung).

Hinzu kommt das Problem, dass es für jeden Experten, der eine Risikoaussage wagt, einen anderen Gegenexperten gibt, der das Gegenteil behauptet – das so genannte "Expertendilemma". Dieses Problem der Laien ist inzwischen auch zum Problem der Experten geworden; denn sie haben an Glaubwürdigkeit verloren. Auf die Frage, wen sie für glaubwürdig halten, "wenn es um Informationen über Technik und ihre Folgen geht", trauten 1998 nur 52 Prozent der befragten Baden-Württemberger den Experten; diese werden allerdings noch weit unterboten von der Politik (20 Prozent), der Industrie (17) und den Massenmedien (11). Am glaubwürdigsten erscheinen Verbraucherverbände; 75 Prozent trauen ihren Aussagen.

Aber auch der Versuch, die Laien selbst zu Experten zu machen, gilt als gescheitert. "Es ist ein grober Fehler der Industrie, dass jede ihrer Broschüren erst einmal ausführlich darüber informiert, wie ein Gen und die DNS funktionieren", sagt Jens Katzek, einst Gentechnikexperte beim BUND, heute Sprecher der KWS Saat AG, die auf genveränderte Zuckerrüben setzt. "Es scheint, als ob die Wirtschaft aus jedem Verbraucher einen Biochemiker machen will." Verlorene Liebesmüh, kann man da nur sagen, denn internationale Vergleiche haben gezeigt, dass bei steigendem Wissensstand der Bevölkerung keineswegs automatisch die Akzeptanz für die Gentechnik steigt.

Anscheinend kommt es doch mehr auf die Gefühle an als auf Know-how und Ratio. 1995 ermittelte Michael Zwick in einer kleinen Pilotstudie, dass auf die bilanzierende Einschätzung einer bestimmten Technik (vom Fahrrad bis zum Tornado) die emotionale Einstellung, also die Skala "Begeisterung oder Angst?" den größten Einfluss hat. Auch der Berliner Psychologieprofessor Helmut Jungermann und Paul Slovic haben festgestellt, dass Emotionen "den besten Prädiktor für die Risikoakzeptanz" darstellen.

Aber warum sind die einen begeistert von einer Technik, die den anderen Angst macht? Die Antworten darauf sind noch lange nicht klar. Das Geschlecht spielt eine große Rolle; Frauen sind im Allgemeinen weniger begeistert von technischen Errungenschaften als Männer, und sie haben (oder zeigen?) mehr Angst. Alter, Bildung und Beruf (ausgenommen: der Ingenieurberuf) spielen dagegen nur eine geringe Rolle – eine größere der Lebensstil: Ob man zu den "technokratisch-liberalen Aufstiegsorientierten" gehört oder zu den "kulturpessimistischen Alternativen" macht schon einen Unterschied.

Der Einfluss der Medien beim Schüren von Technikängsten wurde dagegen lange überschätzt. Was die Gentechnik betrifft, scheinen Journalisten weder besonders technikfeindlich eingestellt zu sein noch entsprechend verzerrt zu berichten, wie Untersuchungen zeigen. Glaubt man dem Technik- und Risikoexperten Michael Zwick (siehe Interview), wird Technikangst überhaupt nicht kurzfristig herbeigeschrieben und auch nicht von Greenpeace herbeiprotestiert. Sie ist vielmehr ein tief sitzendes Gefühl, das von schlechten Erfahrungen gespeist wird – mit der Technik und vor allem mit der Politik.


JUDITH RAUCH


Mehr zum Thema: Interview mit Michael Zwick


Literatur

Jürgen Hampel, Ortwin Renn (Hg.): Gentechnik in der Öffentlichkeit. Wahrnehmung und Bewertung einer umstrittenen Technologie. Campus, Frankfurt 1999
Ortwin Renn, Michael M. Zwick: Risiko- und Technikakzeptanz. Springer, Heidelberg 1997
Hans-Christian Röglin: Technikängste und wie man damit umgeht. VDI Verlag, Düsseldorf 1994
Michael M. Zwick, Ortwin Renn: Wahrnehmung und Bewertung von Technik in Baden-Württemberg. Akademie für Technikfolgenabschätzung, Stuttgart 1998

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