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Fortschritt:
Wer
hat Angst vor der neuen Technik?
Die Mehrheit der Deutschen ist
nicht technikfeindlich, beobachtet neue Entwicklungen aber mit
vorsichtiger Skepsis. Das gilt vor allem für Frauen, die nicht so schnell
zu begeistern sind wie Männer.
2000 war kein gutes Jahr für die Fans des wissenschaftlich-technischen
Fortschritts. Schon zum Neujahrstag wurde der Computer-GAU ausgerufen, der
dann zum Glück nicht eintrat. Im April warnte dann ein amerikanischer
High-Tech-Unternehmer namens Bill Joy vor der Machtübernahme der Roboter
über die Menschheit. Und obwohl die Entschlüsselung des Humangenoms im
Sommer Anlass zu freudigen Schlagzeilen gab, belegten Studien, dass die
Akzeptanz der Gentechnik weltweit abnahm. Aus Angst, dass Handystrahlen
Krebs auslösen könnten, wurden Bürgerinitiativen gegen Sendemasten gegründet,
obwohl die Wissenschaft bisher nur Beruhigendes zu diesem Thema
mitzuteilen hat. Die Concorde stürzte ab. Die Kursk versank. Und am
Schluss des Jahres brach dann noch die lange verdrängte BSE-Krise voll über
Deutschland herein.
Technikängste, ob begründet oder nicht, spielen eine so
große Rolle in Alltag und Zeitgeschehen, dass man sich wundert,
warum so wenig darüber geforscht wird. Nur eine einzige deutsche
Veröffentlichung verspricht schon im Titel Aufklärung
über Technikängste und wie man damit umgeht. Die Studie des
Psychologen Hans-Christian Röglin entstand 1994 im Auftrag von
Pharmafirmen und Energieversorgern. Röglin konstatiert, dass
"Ängste der Bürger, medial verstärkt, vagabundierend ins
Leere laufen" und "sinnlos Forschung und Entwicklung (…)
verhindern" können. Er meint aber auch, dass sie "Warnungen vor
Fehlentwicklungen" sein können und auf diese Weise technische und
wissenschaftliche Innovationen vorantreiben. Ambivalenz der Angst.
Dank der Demoskopen von Allensbach wissen wir, dass "moderne Technik"
heute von etwas mehr als der Hälfte der Deutschen (53 Prozent) als
ein Segen empfunden wird, von 9 Prozent als Fluch und von 38 Prozent
als "weder noch". In den Wirtschaftswunderjahren war das anders.
Damals, in den Sechzigern, begrüßten mehr als drei Viertel
den technischen Fortschritt als Segen, nur drei Prozent erschien er als
Fluch. Ambivalenz der Technik.
Michael M. Zwick, der zusammen mit Ortwin Renn im Auftrag der Stuttgarter
Akademie für Technikfolgenabschätzung die Einstellungen der Baden-Württemberger
systematisch unter die Lupe nahm, hält die Deutschen nicht für generell
technikfeindlich und risikoscheu. "Aber wir sind vorsichtiger
geworden", sagt er. "Im Gegensatz zu den Menschen in der Dritten Welt
kennen wir die ambivalenten Folgen von Technik: Hoher Lebensstandard,
Wohlfahrt auf der einen Seite. Auf der anderen Seite haben wir auch vollen
Bewusstseins und klaren Sinnes die ganzen Technikkatastrophen
wahrgenommen: die direkten und die latenten wie die Klimagefährdung."
Der Soziologe weiß auch, dass Laien andere "Risikoheuristiken" haben
als Experten, was das Gespräch zwischen beiden Gruppen manchmal recht
unerquicklich macht. Während Experten ein Risiko schlicht mathematisch
als Produkt aus Schadenshöhe mal Eintrittswahrscheinlichkeit berechnen,
zieht der Laie noch ganz andere Dinge ins Kalkül: Ein plötzlicher
Massenschaden wie etwa ein Flugzeugabsturz erscheint ihm schlimmer als der
alltäglich sich summierende Tod auf der Autobahn. Dass ein atomarer GAU
nur sehr selten eintritt, beruhigt den Laien nicht; denn selten kann auch
morgen sein. Und vor allem ist ihm wichtig, ob er sich ein
Gesundheitsrisiko selbst ausgesucht hat (wie Bungeejumping oder Rauchen)
oder ob es ihm zugemutet worden ist (etwa ein Chemieunfall oder
Strahlenbelastung).
Hinzu kommt das Problem, dass es für jeden Experten, der eine
Risikoaussage wagt, einen anderen Gegenexperten gibt, der das Gegenteil
behauptet – das so genannte "Expertendilemma". Dieses Problem der
Laien ist inzwischen auch zum Problem der Experten geworden; denn sie
haben an Glaubwürdigkeit verloren. Auf die Frage, wen sie für glaubwürdig
halten, "wenn es um Informationen über Technik und ihre Folgen geht",
trauten 1998 nur 52 Prozent der befragten Baden-Württemberger den
Experten; diese werden allerdings noch weit unterboten von der Politik (20
Prozent), der Industrie (17) und den Massenmedien (11). Am glaubwürdigsten
erscheinen Verbraucherverbände; 75 Prozent trauen ihren Aussagen.
Aber auch der Versuch, die Laien selbst zu Experten zu machen, gilt als
gescheitert. "Es ist ein grober Fehler der Industrie, dass jede ihrer
Broschüren erst einmal ausführlich darüber informiert, wie ein Gen und
die DNS funktionieren", sagt Jens Katzek, einst Gentechnikexperte beim
BUND, heute Sprecher der KWS Saat AG, die auf genveränderte Zuckerrüben
setzt. "Es scheint, als ob die Wirtschaft aus jedem Verbraucher einen
Biochemiker machen will." Verlorene Liebesmüh, kann man da nur sagen,
denn internationale Vergleiche haben gezeigt, dass bei steigendem
Wissensstand der Bevölkerung keineswegs automatisch die Akzeptanz für
die Gentechnik steigt.
Anscheinend kommt es doch mehr auf die Gefühle an als auf Know-how
und Ratio. 1995 ermittelte Michael Zwick in einer kleinen Pilotstudie,
dass auf die bilanzierende Einschätzung einer bestimmten Technik
(vom Fahrrad bis zum Tornado) die emotionale Einstellung, also die
Skala "Begeisterung oder Angst?" den größten Einfluss hat.
Auch der Berliner Psychologieprofessor Helmut Jungermann und Paul
Slovic haben festgestellt, dass Emotionen "den besten Prädiktor
für die Risikoakzeptanz" darstellen.
Aber warum sind die einen begeistert von einer Technik, die den anderen
Angst macht? Die Antworten darauf sind noch lange nicht klar. Das
Geschlecht spielt eine große Rolle; Frauen sind im Allgemeinen weniger
begeistert von technischen Errungenschaften als Männer, und sie haben
(oder zeigen?) mehr Angst. Alter, Bildung und Beruf (ausgenommen: der
Ingenieurberuf) spielen dagegen nur eine geringe Rolle – eine größere
der Lebensstil: Ob man zu den "technokratisch-liberalen
Aufstiegsorientierten" gehört oder zu den "kulturpessimistischen
Alternativen" macht schon einen Unterschied.
Der Einfluss der Medien beim Schüren von Technikängsten wurde dagegen
lange überschätzt. Was die Gentechnik betrifft, scheinen Journalisten
weder besonders technikfeindlich eingestellt zu sein noch entsprechend
verzerrt zu berichten, wie Untersuchungen zeigen. Glaubt man dem Technik-
und Risikoexperten Michael Zwick (siehe Interview), wird
Technikangst überhaupt nicht kurzfristig herbeigeschrieben und auch nicht
von Greenpeace herbeiprotestiert. Sie ist vielmehr ein tief sitzendes Gefühl,
das von schlechten Erfahrungen gespeist wird – mit der Technik und vor
allem mit der Politik.
JUDITH RAUCH
Mehr zum
Thema: Interview mit Michael Zwick
Literatur
Jürgen Hampel, Ortwin Renn (Hg.): Gentechnik in der Öffentlichkeit.
Wahrnehmung und Bewertung einer umstrittenen Technologie. Campus,
Frankfurt 1999
Ortwin Renn, Michael M. Zwick: Risiko- und Technikakzeptanz. Springer,
Heidelberg 1997
Hans-Christian Röglin: Technikängste und wie man damit umgeht. VDI
Verlag, Düsseldorf 1994
Michael M. Zwick, Ortwin Renn: Wahrnehmung und Bewertung von Technik in
Baden-Württemberg. Akademie für Technikfolgenabschätzung, Stuttgart
1998
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