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       Bat
      Woman
      - Elisabeth Kalko 
         
      Die
      führende Fledermaus-Forscherin ist eine der jüngsten Professorinnen
      Deutschlands und ein Vorbild für die neue Generation junger Biologinnen. 
         
      Wer an der Universität Ulm in der Abteilung
      für Experimentelle Ökologie der Tiere auf Elisabeth Kalko trifft, hält
      sie wohl nicht gleich für die Lehrstuhl-Inhaberin. Die zierliche Person
      mit den schulterlangen, welligen Haaren, der lila Cordbluse und den Jeans
      geht leicht als späte Studentin durch. Beim Gespräch hält sie einen
      Kaffeebecher in der Hand, auf dem „Elisabeth die Mächtige“ steht. Und
      mächtig ist sie: Als 40-Jährige auf einem C4-Lehrstuhl. Als
      Wissenschaftlerin mit beeindruckendem Lebenslauf und einem Ruf wie
      Donnerhall in der zoologischen Fachwelt, den sie bahnbrechenden
      Forschungsarbeiten über Verhalten und Ökologie von Fledermäusen
      verdankt. Aber man sieht ihr die Macht nicht an. 
       
      Elisabeth Kalko lächelt viel. Und sie spricht so ehrlich und mit so viel
      Emotion über sich und ihren Beruf, wie das ein Mann kaum tun würde.
      „Ja, das ist schon ein Traum, der wahr geworden ist“, sagt sie über
      die Professur, die sie seit dem 1. Januar 2000 innehat. „Das Klima hier
      an der Uni ist Klasse!“ Doch schon im nächsten Satz klagt sie über das
      „tödliche Arbeitspensum“, über Tage im Institut, die um 8.30 Uhr
      beginnen und um 23 Uhr enden, über Jahre, in denen sie gerade mal einen
      Urlaubstag für private Dinge genommen hat. Vieles Neue stürzte
      gleichzeitig auf die Forscherin ein, als sie 37-jährig an die Universität
      Ulm berufen wurde: die Aufgabe, Lehrveranstaltungen zu entwickeln,
      Verwaltung, Personalführung, Anträge, Gremienarbeit und zusätzlich die
      Evaluierung des Fachbereichs Biologie für das Kultusministerium in
      Stuttgart. 
       
      Sie hat alles geschafft. Aber um welchen Preis? „Das Nachdenken kommt zu
      kurz“, sagt die Professorin, die sich manchmal nach stillen Nächten
      allein mit den Fledermäusen sehnt. „Ich komme nur noch selten zu etwas
      Eigenem. Ständig bin ich für andere verantwortlich.“ Da bleibt wenig
      Zeit für Privates: ins Kino gehen, Lesen und die Beschäftigung mit
      islamischer Kunst und Kultur, für die sich Kalko sehr interessiert, sowie
      ihre privaten Beziehungen, über die sie nicht reden mag. Also doch kein
      Traumberuf? 
       
      „Oh doch!“, protestiert sie. Gerade die intensive Arbeit mit den
      Studenten und Doktoranden mache ja auch großen Spaß! „Weil ich Ideen
      weitertragen kann. Und weil ich anderen Mut machen kann, in den
      Naturwissenschaften ihre eigenen Vorstellungen umzusetzen!“ Auch die
      Tatsache, dass sie jetzt eine feste Stelle habe, mache den Stress erträglicher.
      „Das gibt mir Kraft.“ Wie viele junge Wissenschaftler hat sie sich
      jahrelang von Projekt zu Projekt, von Stipendium zu Stipendium gehangelt.
      „Jetzt kann ich mich frei bewegen und inhaltlich das machen, was mich
      begeistert.“ 
       
      Experimentelle Ökologie – das ist Forschung in globalen Zusammenhängen.
      Kalkos Diplomanden und Doktoranden forschen an Bibern in Baden-Württemberg,
      an Girlitzen in Spanien, an Flughunden an der Elfenbeinküste, an Fledermäusen
      in Mexiko oder Panama. Natürlich schaut ihre akademische Betreuerin dort
      vorbei. „Manchmal schieben sich die Eindrücke wie Dias übereinander“,
      sagt sie. „Dann glaube ich in schwäbischen Kirschbäumen südamerikanische
      Tukane zu sehen.“ 
       
      In all ihren Projekten geht es um Biodiversität – um die Artenvielfalt
      in Regenwäldern und Savannen und um die Bedrohungen, denen diese Lebensräume
      ausgesetzt sind. In dem vom Bundesforschungsministerium geförderten
      BIOTA-Projekt in Afrika untersuchen sie und ihre Kollegen, wie sich Ökosysteme
      durch Eingriffe des Menschen verändern, etwa durch Ackerbau, Viehzucht
      und Jagd, und wie sich natürliche Systeme und Nutzungskonzepte
      vereinbaren lassen. Eine hochpolitische Aufgabe. „Es geht nicht um Gänseblümchen,
      sondern um unser Überleben“, meint Kalko. 
       
      Dabei hat alles klein angefangen. Wenn auch nicht mit Gänseblümchen, so
      doch mit Vögeln und Kröten. Elisabeth Kalko wurde 1962 in Berlin
      geboren, zog aber im Alter von knapp zwei Jahren mit den Eltern nach
      Heilbronn am Neckar, wo sie zwischen Weinbergen aufwuchs. „Dort wurde
      ich früh mit der Problematik konfrontiert, was wir mit unseren
      Landschaften anstellen“, sagt die Biologin. Die Weinberge wurden nach ökonomischen
      Kriterien umgestaltet, die alten Mäuerchen herausgerissen – und das
      hatte Auswirkungen auf die dort wachsenden Wildkräuter, auf Insekten,
      Eidechsen und Vögel. Eli, wie sie seit Kindesbeinen genannt wird, wurde
      mit 15 Mitglied im Bund für Vogelschutz und eine fleißige
      Umweltaktivistin. Mit einer Gruppe von etwa 20 Mitstreitern baute sie
      entlang einer Autostraße Krötenzäune auf, um die Amphibien auf ihren
      Wanderungen vor dem Überfahren zu schützen. 
       
      Irgendwann begannen sich Zoologen von der Universität Karlsruhe für die
      Aktionen der Heilbronner Jugendlichen zu interessieren. Sie wollten es
      genauer wissen: „Bringt das denn etwas?“ Also zogen sie den Kröten Jäckchen
      mit kleinen Sendern an und verfolgten sie bis zu den Laichplätzen, um den
      Fortpflanzungserfolg zu kontrollieren. Prompt trat ein neues Umweltproblem
      zutage: „Durch den sauren Regen starb der Laich ab, und die Kaulquappen
      schlüpften nicht.“ Für Eli Kalko war das eine prägende Erfahrung:
      ihre Einführung in die experimentelle Ökologie mit wissenschaftlichem
      Anspruch. War damit ihr Berufsweg vorgezeichnet? Keineswegs. „Es gab
      Zeiten, da hätte ich die Biologie fast aufgegeben“, erinnert sie sich
      an ihre Berufswahl und Studienzeit. „Und andere Zeiten, da hätte ich
      die Freilandforschung fast aufgegeben.“ Damals habe bei ihr der Bauch
      gegen den Kopf gestritten – Zukunftssorgen plagten sie, monatelang,
      jahrelang. Denn die Berufsaussichten für Biologen waren in den achtziger
      Jahren alles andere als rosig. 
       
      Eli Kalko studierte in Tübingen. Sie litt unter der Anonymität im
      Massenfach Biologie und darunter, dass viele ihrer Kommilitonen nur wenig
      Interesse an dem Aspekt der Biologie hatten, der sie selbst am meisten
      faszinierte: die Vielfalt der Organismen. Aber – und das passierte ihr
      oft im Leben: „Im entscheidenden Moment traf ich stets auf Leute, die
      mir Möglichkeiten aufzeigten.“ 
       
      Der Zoologie-Professor Wilhelm Harder lädt sie zu einer
      meeresbiologischen Exkursion ein, die eigentlich für fortgeschrittene
      Studenten gedacht ist. Dort trifft sie auf den Zoophysiologen Prof.
      Hans-Ulrich Schnitzler. „Ich sprach sie an, weil sie ein wenig still und
      isoliert im Bus saß, und sie erzählte mir von ihren Zweifeln an der
      Biologie“, erinnert sich Schnitzler. „Im weiteren Verlauf der
      Exkursion fiel mir dann Elisabeths fantastische Begabung für
      Naturbeobachtung auf. Sie kann Tiere in ihrer Umwelt blitzschnell
      erfassen, sich die Zusammenhänge merken und auf diese Weise enormes
      Wissen akkumulieren. So etwas ist sehr selten.“ 
       
      Schnitzler, für seine Experimente an Fledermäusen ebenso bekannt wie für
      seine Strenge als akademischer Lehrmeister, wirbt um die begabte
      Studentin, die im Hauptstudium von der Studienstiftung des Deutschen
      Volkes gefördert wird: „Ich möchte dich ja nicht beeinflussen. Aber es
      wäre schön, wenn du deine Diplomarbeit bei mir machen könntest. Wir
      brauchen jemanden fürs Freiland.“ 
       
      Doch Eli Kalko hat zu der Zeit noch andere Interessen. Sie jobbt als
      wissenschaftliche Hilfskraft am Tübinger Max-Planck-Institut (MPI) für
      Entwicklungsbiologie, hilft bei Forschungen an der Regeneration optischer
      Nerven beim Goldfisch. Am MPI wird sie von der Wissenschaftlerin Claudia
      Stürmer betreut, die heute als Professorin in Konstanz forscht und lehrt.
      „Sie war mir Vorbild als Frau in der Wissenschaft“, sagt Elisabeth
      Kalko. „Bei ihr konnte ich erproben, ob mir das auch liegt, das
      wissenschaftliche Arbeiten. Ob ich es aushalte, monatelang am gleichen
      Projekt zu arbeiten. Ich konnte meine Grenzen austesten.“ 
       
      Als ihr dann auch noch Prof. Friedrich Bonhoeffer, einer der damaligen
      Direktoren am MPI für Entwicklungsbiologie, eine Diplomarbeit anbietet,
      ist sie wieder im Dilemma: Entwicklungsbiologie oder Zoologie? Goldfisch
      oder Fledermaus? Labor oder Freiland? Nach langem Überlegen entscheidet
      sie sich für Schnitzler und die Fledermäuse. „Diese Art Forschung,
      draußen in der Natur, hat mich einfach am meisten begeistert. Ich wollte,
      dass sie ein Teil meines Lebens bleibt.“ Schnitzler stellt ihr eine
      anspruchsvolle Aufgabe: Sie soll erstmals im Freiland eine von ihm
      entwickelte Apparatur einsetzen, mit der man Flug und Beutefang der
      nachtaktiven flinken Flatterer in einzelnen Phasen fotografieren und
      dreidimensional rekonstruieren kann. 
       
      Gleichzeitig mit den Bildern sollen die Echo-Ortungsrufe der Tiere
      aufgezeichnet werden – mit so genannten Fledermaus-Detektoren. Das sind
      Geräte, die den Ultraschall, den Fledermäuse mit Mund oder Nase
      produzieren, über ein spezielles Mikrofon aufnehmen und dann auf einem
      Tonband oder digitalen Speicher aufzeichnen. Gleichzeitig werden in einem
      separaten Vorgang die hohen Frequenzen so herabgesetzt, dass die Rufe für
      menschliche Ohren hörbar werden. 
       
      Elisabeth Kalko macht sich furchtlos an die Arbeit. „Ich bin nicht der
      Typ, der über einem Schaltplan ins Schwärmen gerät“, sagt die Tochter
      eines Ingenieurs und einer Betriebswirtin. „Aber die ausführlichen
      Diskussionen mit Schnitzler und den Technikern im Institut haben mir
      geholfen, die Apparatur zu verstehen und weiterzuentwickeln.“ Das
      optische System besteht aus zwei Kleinbildkameras und zwölf
      Blitzlichtern. Die Blenden der Kameras bleiben geöffnet, während die
      Blitzlichter in rascher Folge eine vorbeifliegende Fledermaus beleuchten.
      Auf diese Weise entsteht – mit einigem Glück – eine Bewegungsstudie:
      ein Foto, auf dem 50 Millisekunden Fledermausflug durch bis zu 36
      Momentaufnahmen aufgezeichnet sind. Heute ist das
      „Multi-Flash-Kamerasystem“ aus Tübingen Standard in der
      Fledermausforschung. „Eli Kalko hat die Technik wesentlich
      vorangetrieben“, sagt Björn Siemers, ein 30-jähriger Zoologe an
      Schnitzlers Lehrstuhl, der die Methodik aufgegriffen hat. 
       
      Die Biologin setzt das Gerät 1986 zum ersten Mal im Freiland ein – in
      den Rheinauen von Karlsruhe, wo sie für ihre Diplomarbeit Wasserfledermäuse
      fotografiert. In den Jahren 1988 bis 1990 schleppt sie ihre Ausrüstung
      nach Spanien, Portugal, Griechenland, Schweden, Dänemark und Frankreich
      – stets auf der Spur von drei Arten von Zwergfledermäusen, an denen sie
      Unterschiede und Gemeinsamkeiten untersucht. „Diese Arbeiten sind
      Klassiker geworden und werden viel zitiert“, sagt Siemers. Die
      Forscherin zieht es noch weiter in die Ferne. Ihr Doktorvater macht sie
      mit Charles Handley bekannt – einem 1924 geborenen amerikanischen
      Zoologen, Kurator für Säugetiere an der renommierten Smithsonian
      Institution in Washington. Seit den siebziger Jahren erforscht er die
      Fledermäuse von Barro Colorado Island – einer Insel, die beim Bau des
      Panama-Kanals entstand und seit 1923 unter Naturschutz steht. Die Insel
      beherbergt eine hervorragend eingerichtete Feldstation und ist Teil des
      bekannten Smithsonian Tropical Research Institutes. „Handley war ein
      Naturforscher vom alten Schlag“, sagt Elisabeth Kalko, „aber sehr
      interessiert an neuen Techniken.“ Der Amerikaner ist im Juni 2001
      gestorben. In einer Kurzbiographie, die er für eine
      Biologielehrer-Webseite geschrieben hat, kann man aber nachlesen, wie er
      die Begegnung empfunden hat: „1990 traf ich Elisabeth Kalko, Doktorandin
      einer deutschen Universität. Sie war ausgerüstet mit den weltweit
      fortgeschrittensten maßgefertigten elektronischen Instrumenten zum
      Aufnehmen der Ultraschall-Laute von Fledermäusen, und sie war eine
      Meisterin in ihrem Gebrauch.“ 
       
      Die beiden werden ein Team, leiten gemeinsam Forschungsprojekte über
      Fledermausgemeinschaften in Panama, Venezuela und Brasilien. „Dabei stoßen
      wir immer noch häufig auf neue, bisher unbeschriebene Arten“, vermerkte
      Handley. Auch im vergangenen Jahr hat Elisabeth Kalko wieder mehrere
      Wochen in Nord-, Mittel- und Südamerika verbracht. 
       
      Anfang August trafen sich rund 550 Tropenbiologen aus aller Welt zu einer
      Tagung in Panama. „Da konnte man Leute kennen lernen, deren Namen man
      sonst nur auf Veröffentlichungen liest“, freut sich die
      Wissenschaftlerin. Danach schaute sie sich neugierig die jüngsten
      Entdeckungen ihrer Diplomanden und Doktoranden auf Barro Colorado Island
      an. „Da gibt es eine Sackflügelfledermaus, die zu unserem Erstaunen
      Klicklaute produziert wie sonst nur Flughunde“, begeistert sie sich.
      „Eine kleine Fledermaus mit großen Ohren haben wir mit einer
      Infrarot-Videokamera verfolgt. Dabei stellten wir fest, dass sie nachts
      ruhende Libellen findet und fängt. Außerdem frisst sie riesige behaarte
      Raupen und spuckt die giftigen Teile sofort aus.“ Nicht zum ersten Mal
      stand Elisabeth Kalko dabei selbst vor der Kamera. Ein amerikanisches
      Filmteam besuchte sie – das Thema lautete „Frauen in der
      Fledermausforschung“. Kalko und drei Kolleginnen werden in dem TV-Film,
      der in den USA , aber auch in Europa ausgestrahlt werden soll, als „Bat
      Women of Panama“ porträtiert. Auch in einem amerikanischen Kinderbuch
      wurde die deutsche Zoologin samt ihren Forschungsobjekten schon
      vorgestellt. 
       
      Kein Wunder, dass Kalkos Ulmer Studentinnen von ihrer Professorin
      begeistert sind. Stefanie Bacher und Denise Emer, die im Grundstudium ein
      Praktikum bei ihr gemacht haben, überbieten sich mit Lobpreisungen:
      „Sie ist immer gut gelaunt und nie genervt.“ – „Total engagiert,
      auch wenn man noch ein Erstsemester ist.“ – „Mit ihr kann man ganz
      normal reden.“ – „Und sie bemüht sich wirklich, in den Praktika
      Neues zu bieten. Sie tut mehr, als sie müsste.“ Ein Vorbild als Frau in
      der Wissenschaft? „Auf jeden Fall!“  
         
        JUDITH RAUCH 
       
       
       
      Kompakt 
       
      Geboren am 10. April 1962 in Berlin, wächst Elisabeth Kalko ab 1964 in
      Heilbronn auf. 
       
      Als junges Mädchen schützt sie Kröten. 
       
      Von 1981 bis 1991 studiert sie Biologie in Tübingen. 
       
      Als Doktorandin der Biologie perfektioniert sie einen Apparat, mit dem man
      Fledermäuse bei Nacht im Flug fotografieren kann. 
       
      1991 bis 1993 ist sie Stipendiatin an Smithsonian-Instituten in Washington
      und Panama, weitere Forschungsprojekte in Mittel- und Südamerika folgen. 
       
      Mit 37 Jahren wird sie Professorin. 
       
      Sommer 2002: Kalko wird Filmstar in „Bat Women of Panama“, einer
      US-Fernsehproduktion.
         
       
         
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