Judith Rauch schreibt: Reader´s Digest Januar 2004

Guten Appetit!

Ist Fleisch nun gesund oder nicht? Zehn Antworten auf Fragen rund um den tierischen Genuss

Kann man heute noch guten Gewissens Fleisch essen, und sind vegetarische Mahlzeiten gesünder als Steak, Grillwurst und Co? Ja, kann man, und nein, sind sie nicht. Reader's Digest hat bei Ernährungs- und Landwirtschaftsexperten nachgefragt. Und festgestellt: Fleisch ist ein wertvolles Nahrungsmittel, das pflanzliche Kost ideal ergänzt.


1. Braucht der Mensch Fleisch?

Nein, man kann auch ohne leben, wie Millionen Vegetarier beweisen. Aber: Mit Fleisch ist es wesentlich leichter, sich gesund zu ernähren. Es enthält viele wertvolle Stoffe in einer Form und Mischung, die der menschliche Körper gut verwerten kann.

So kommen in tierischem Eiweiß alle essenziellen Aminosäuren vor. Das sind Proteinbausteine, die der Mensch zwar benötigt, beispielsweise für die Muskel- und Nervenfunktion, aber nicht selbst bilden kann und deshalb über die Nahrung aufnehmen muss. Im Gegensatz zu Fleisch enthält pflanzliches Eiweiß immer nur bestimmte essenzielle Aminosäuren. Um alle abzudecken, muss man also verschiedene pflanzliche Lebensmittel gekonnt miteinander kombinieren.

Auch die Zusammensetzung der Fettsäuren im Fleisch ist günstig, stellt Ingrid Seuß-Baum, Professorin für Lebensmitteltechnologie in Fulda, fest. Dies gilt insbesondere für durchwachsenes Schweinefleisch.

Fleisch gilt darüber hinaus als sehr gute Quelle für die Vitamine B1, B2, B6 und B12, die allesamt wichtige Stoffwechselprozesse regeln, sowie für die Vitamine A (gut für die Augen) und D (gut für die Knochen). Auch als Zink und Eisenspender ist es unübertroffen, denn – so der Ernährungswissenschaftler und Buchautor Dr. Nicolai Worm aus Berg bei München: "Das Verdauungssystem des Menschen kann diese Mineralien aus Pflanzen wesentlich schlechter aufnehmen."

In der Schwangerschaft kann es sogar riskant sein, völlig auf Fleisch zu verzichten. Die Gesundheit von Mutter und Kind hängt auch von einer ausreichenden Versorgung mit den Mikronährstoffen Eisen, Vitamin A, Selen, Folsäure und Vitamin B12 ab. Und für diese ist Fleisch die wesentliche Quelle, darauf weist Professor Hans Konrad Biesalski vom Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Stuttgart-Hohenheim hin.


2. Sind Vegetarier gesünder?

Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass Vegetarier im Allgemeinen eine etwas höhere Lebenserwartung haben. "Vegetarier verhalten sich außer in der Ernährung auch in anderen Lebensbereichen gesundheitsbewusster", sagt Professor Claus Leitzmann, einer der bekanntesten Ernährungswissenschaftler Deutschlands. Er war bis zu seiner Pensionierung Leiter des Instituts für Ernährungswissenschaft an der Universität Gießen. "Sie rauchen weniger, trinken weniger Alkohol und bewegen sich mehr."

Leitzmann wollte es genauer wissen und hat die Nährstoffversorgung von drei Gruppen verglichen: Durchschnittsbürgern, vegetarischen Vollwertköstlern, die Eier und Milch, aber kein Fleisch konsumieren, und Vollwertköstlern, die ein- bis zweimal pro Woche Fleisch essen. Letztere Gruppe erwies sich als die am besten mit Nährstoffen versorgte, dicht gefolgt von den Vegetariern – ein Grund, weshalb der überzeugte Vegetarier Leitzmann das fleischlose Leben nicht zum Dogma macht.


3. Wie viel Fleisch ist gesund?

Bei kaum einer anderen Frage gehen die Meinungen der Experten so auseinander. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt Erwachsenen, nicht mehr als 300 bis 600 Gramm Fleisch und Wurst pro Woche zu verzehren. Satt essen soll man sich nicht an Schweinebraten und Leberwurst, sondern an Brot, Nudeln, Reis, Vollkornflocken und Kartoffeln. Dazu täglich Milchprodukte sowie reichlich Obst und Gemüse und einmal in der Woche Fisch.

Derzeit essen die Deutschen etwa zwei- bis dreimal so viel Fleisch und Wurst wie von der DGE empfohlen, nämlich rund 60 Kilo pro Jahr, die Österreicher verzehren sogar gut 65 Kilo. Das ist auch in Ordnung, meint Professor Wolfgang Branscheid, Sprecher der Bundesanstalt für Fleischforschung im bayerischen Kulmbach: "Für eine stärkere Begrenzung des Fleischkonsums gibt es keine wissenschaftliche Begründung." Das Problem ist vielmehr, dass die Menschen in den Industrienationen im Allgemeinen "zu viel, zu fett, zu süß, also zu energiereich" essen und sich zu wenig bewegen, so der Professor.

Für Kinder zwischen vier und 14 Jahren empfiehlt das Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund ähnlich wie die DGE einen mäßigen Fleisch- und Wurstkonsum: 40 bis 75 Gramm pro Tag.

Und die Senioren? "Qualität statt Quantität" ist die richtige Devise auch für die Ernährung im Alter, erklärt der Hamburger Ernährungswissenschaftler Professor Michael Hamm. Mageres Fleisch bereichert wegen seiner Mineralstoffe und Vitamine dann den Speiseplan.


4. Weiß oder rot?

Diese Frage lässt sich kurz und knapp beantworten: Essen Sie, worauf Sie Lust haben, und am besten wechseln Sie ab! Rotes Fleisch von Rind, Schwein, Lamm oder Wild hat etwas mehr Eisen, das ist gesund. Weißes Fleisch von Huhn oder Pute ist meist magerer, auch das ist gesund. Dieses Fleisch sollte aber wegen möglichem Salmonellenbefall richtig durchgegart werden, damit es nicht zu Infektionen kommt.


5. Wie sicher ist unser Fleisch?

"Sicherer denn je", sagt Dr. Lore Schöberlein, Fleischexpertin von der Sächsischen Landesanstalt für Landwirtschaft in Dresden. Tatsächlich regeln zahlreiche Vorschriften Aufzucht, Transport und Schlachtung der Tiere, genauso wie den hygienischen Umgang mit Fleisch bis zur Ladentheke.

Medikamente beispielsweise sind nur bei kranken Tieren erlaubt; nach der Verabreichung muss einige Tage gewartet werden, bis geschlachtet werden darf. Einzige Ausnahme: Nach wie vor dürfen in der Europäischen Union Antibiotika als Wachstumsförderer verabreicht werden; vor allem Schweinemäster setzen die Medikamente ein. Bis Ende 2005 soll auch dies verboten sein.

BSE hat die Fleischwirtschaft zu drastischen Maßnahmen gezwungen: So ist die Verfütterung von Tiermehl, das als Infektionsquelle gilt, an Wiederkäuer seit 1994 EU-weit verboten. So genanntes Risikomaterial wie Hirn und Rückenmark wird beim Schlachten säuberlich vom Rest getrennt. Tiere, die älter als zwei Jahre sind, werden auf BSE getestet. Trotzdem bleibt für den Verbraucher ein Restrisiko, weil die Tests erst reagieren, wenn die Infektion im Tierhirn schon weit fortgeschritten ist; Infektionen bei Jungtieren bleiben so unentdeckt.

Für mehr Transparenz sorgen innerhalb der EU auch die Rindfleisch-Kennzeichnungsbestimmungen: Verbraucher können an der Verpackung ablesen, in welchem Land das Tier, dessen Fleisch sie kaufen, geboren und aufgezogen, wo es geschlachtet und zerlegt wurde. Auf Wurst und Fleisch, das von verschiedenen Tierarten stammt, wie Gulasch und Hack, fehlen die Etiketten allerdings. Bei diesen Waren wird in der Regel Fleisch unterschiedlicher Herkunft verarbeitet. Die Rückverfolgbarkeit lässt sich dann nicht mehr garantieren.


6. Was ist dran am Bio-Fleisch?

Wer außer auf Lebensmittelsicherheit auch Wert legt auf artgemäße Haltung der Tiere sowie auf Futtermittel, die zum größten Teil aus Öko-Landbau stammen, sollte zu Bio-Fleisch greifen. Es schmeckt oft besser als konventionell erzeugtes. Dafür ist es aber auch bis zu doppelt so teuer.

Produkte, die mit "Bio" oder "Öko" gekennzeichnet sind, müssen die EU-Vorgaben für Öko-Produkte erfüllen. In Deutschland beispielsweise kann der Verbraucher viele dieser Waren an einem sechseckigen Siegel erkennen, das den schwarz-grünen Schriftzug "Bio" trägt. Daneben gibt es noch die Prüfzeichen der Erzeugerverbände (wie Demeter, Bioland, Biopark, Gäa usw.), deren Richtlinien noch strenger sind als die der Europäischen Union.


7. Kann man noch Innereien essen?

Rinderhirn ist BSE-Risikomaterial – man bekommt es in der EU nicht mehr zu kaufen. "Schweinehirn ist nach heutiger Kenntnis ungefährlich, aber sehr fett und nicht empfehlenswert", erklärt Professor Wolfgang Branscheid von der Bundesanstalt für Fleischforschung. Herz ist eine Delikatesse und etwas fester als Muskelfleisch.

Leber und Nieren sind Organe, die mit der Ausscheidung von Schadstoffen zu tun haben. Stammen sie von Jungtieren, sind sie unbedenklich; bei älteren Tieren können sie mit Schwermetallen und giftigen Abfallprodukten des Stoffwechsels belastet sein. Die Leber ist wegen ihres hohen Nährstoffgehalts aber auch so wertvoll, dass Professor Biesalski von der Universität Stuttgart-Hohenheim sie in kleinen Mengen, also etwa 100 Gramm alle 14 Tage, gerade Schwangeren empfiehlt.


8. Kein Fleisch bei Krankheiten?

Die einzige Krankheit, die eine fleischarme Diät erfordert, ist die Gicht. Aus den so genannten Purinen – das sind Stoffe aus dem Zellkern – bildet der menschliche Körper Harnsäure. Wird diese ungenügend ausgeschieden, lagert sie sich als Kristalle zum Beispiel in den Gelenken ab. Das löst die schmerzhaften Gichtanfälle aus. Ein kompletter Verzicht auf Fleisch ist für Betroffene weder notwendig noch empfehlenswert. Nur Innereien sollten sie gänzlich vom Speiseplan streichen. Gichtkranke müssen auch bei pflanzlicher Kost auf Purine achten, die sich zum Beispiel in Weizenkeimen oder Hülsenfrüchten finden.


9. Was gilt es beim Fleischkauf zu beachten?

Vielleicht haben Sie es schon erlebt, dass ein Schweineschnitzel in der Pfanne schrumpft und hinterher zäh ist und nach nichts schmeckt. Solches Fleisch stammt, wie Lore Schöberlein, Expertin der Sächsischen Landesanstalt für Landwirtschaft, erläutert, meist von Schweinen, die auf einen hohen Anteil Magerfleisch gezüchtet und besonders stressanfällig sind. Man erkennt es an der blassen Farbe und daran, dass es schon in der Fleischtheke im Saft schwimmt.

Kalbfleisch sollte rosa, Schweinefleisch hellrot bis rot sein. Rind- und Schaffleisch darf etwas dunkler sein, jedoch nicht tief braunrote Farbtöne erreichen. Feinschmecker achten auch darauf, dass die guten Stücke nicht zu mager sind, sondern marmoriert, das heißt, mit feinen weißen Fettäderchen durchzogen. Sind die Tiere im Freiland aufgewachsen und haben viel Gras gefressen, kann das Fett gelblich sein.

Bei tief gefrorener Ware sollte man auf das Verfallsdatum achten. "Länger als sechs Monate soll Fleisch nicht lagern, es verliert sonst außerordentlich an Qualität", erklärt Fleischforscher Wolfgang Branscheid. Bei der Frischeprüfung in der heimischen Küche kann man sich auf seine eigene Nase verlassen: Was verdorben riecht, muss weg.


10. Wie bereitet man Fleisch gesund zu?

Garzeit und -temperatur spielen auch beim Fleisch eine Rolle, wenn es um gesunde Zubereitung geht. Vitamine zum Beispiel sind hitzeempfindlich. Beim roten Fleisch ist die Kerntemperatur entscheidend. Bei Fleischstücken, die "medium" gegart sind, liegt sie unter 75 Grad. So bleiben hinreichende Mengen auch hitzeempfindlicher Vitamine erhalten. Wasserlösliche Vitamine und Mineralien gehen nicht verloren, wenn man den Bratenfond weiterverwendet. Geflügel hingegen sollte immer gut durchgegart werden.

Wird Fleisch allerdings zu stark erhitzt oder gar verbrannt, können Krebs erzeugende Stoffe entstehen. "Wer ganz sichergehen will, sollte Zubereitungsmethoden bevorzugen, bei welchen die Temperatur nicht über 150 Grad ansteigt. Also Kochen, Dünsten oder Garen am besten im Römertopf. Diese Methoden können bedenkenlos eingesetzt werden", versichert Ernährungswissenschaftler Nicolai Worm.

Fleischforscher Wolfgang Branscheid, der zu Hause gerne kocht, hat für alle Grillfreunde einen Kniff parat: "Eine Seite so lange grillen, bis an der Oberseite Safttröpfchen in kleinen Perlen austreten. Dann umdrehen und noch einmal so lange garen."

Bleibt nur noch eins zu wünschen: Guten Appetit!


JUDITH RAUCH


Dossier Medizin

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