Judith Rauch schreibt: Reader´s Digest April 2001

Auf Onkel Dagoberts Spuren

Sind Frauen vielleicht doch die besseren Anleger?


"Geld allein macht nicht glücklich", sagt ein Sprichwort. Wenn sie das hört, kann sich Irmtraud Potkowski ziemlich aufregen. "Geld ist doch die Grundlage für Freiheit, für Sicherheit, Unabhängigkeit und für ein angenehmes Leben", behauptet die Finanzberaterin aus Ludwigsburg. "Gerade Frauen sollten das wissen, weil sie finanziell oft von anderen Personen abhängig sind!" Die 48-jährige studierte Volkswirtin und Mutter von vier Kindern ist der lebende Beweis für diese These.

Nachdem sie beruflich schon verschiedene Wege gegangen ist - unter anderem hat sie Gruppenreisen organisiert und in der Arztpraxis ihres Mannes gearbeitet -, scheint sie gerade zu einem wahren Höhenflug anzusetzen. Irmtraud Potkowski ist selbstständige Finanzplanerin bei einer Beratungsgesellschaft, die Menschen hilft, sich richtig zu versichern und ihr Geld gewinnbringend anzulegen. Ihre Kundenzahl wächst, ihre Abteilung expandiert. Die Zielgruppe: Frauen.

1999 hat sie zusammen mit ihrer ersten Mitarbeiterin, der 39-jährigen Betriebswirtin Andrea Sauter, eine Marktnische für sich entdeckt und einen besonderen Coup gelandet. Die beiden riefen - bei Seminaren und Beratungen, aber auch per Zeitungsmeldung - zur Gründung des ersten Ludwigsburger Frauen-Investmentclubs auf. "Frauen interessieren sich durchaus für Aktien", hatte Andrea Sauter bei Beratungsgesprächen festgestellt. "Den meisten fehlt nur ein wenig Know-how und Erfahrung." Gemeinsam, so die Überlegung, könnte man leichter ans Ziel kommen"

Die Idee schlug ein. Beim ersten Treffen am 19. Juni 1999 drängten sich schon über 50 interessierte Frauen in einem engen Schulungsraum, zum zweiten Treffen kamen mehr als hundert. Irmtraud Potkowski und Andrea Sauter blieb nichts anderes übrig, als Untergruppen zu bilden. Die erste Gruppe, die nach ein paar Wochen Vorbereitungszeit tatsächlich Geld auf den Tisch legte und Aktien kaufte, nannte sich - in Anlehnung an den reichen Onkel Dagobert in den Donald-Duck-Comics - Dagoberta. Dagoberta gab dem ganzen Club den Namen, auch wenn inzwischen sieben weitere Gruppen mit originellen Bezeichnungen entstanden sind: Boersiana, Fortuna, Pecunia und Moneypenny beispielsweise.

Das erste Börsenjahr verlief gut für die Dagoberta. Im Juli 2000 verzeichneten die Depots satte Gewinne von bis zu 30 Prozent. Vor allem die Aktien der Firmen Nokia und Cisco hatten sich in dem Zeitraum sehr positiv entwickelt. Auch wenn die Entwicklung in diesen Branchen nicht mehr so gut ist, gilt immer noch die gleiche Strategie, wie Irmtraud Potkowski erläutert: "Wir setzen auf solide Werte in Branchen, die großes Wachstumspotenzial haben." Irgendwann kam die Idee auf, sich einmal etwas Besonderes zu gönnen: eine Reise an die Wall Street nach New York, dem Mekka der Börsianer! "Doch, ich war schon in New York", sagt Carmen Seitz, als wir über dem Atlantik schweben. "Aber immer nur mit meinem Mann. Nie allein." Streng genommen reist sie auch jetzt nicht allein, schließlich sind wir eine Gruppe von 29 Frauen. Aber es ist klar, was sie meint.



Geben und Nehmen

Carmen Seitz war 35 Jahre mit einem Unternehmer verheiratet. Nach ihm und seiner Firma, in der sie mitarbeitete, hatte sie ihr ganzes Leben ausgerichtet, erzählt sie. Selbst die zwei Kinder kamen oft zu kurz. Vor drei Jahren hat er sie wegen einer Jüngeren verlassen. Die Zeit danach war schlimm für Carmen Seitz. Nur ihre Freundinnen hielten sie aufrecht, schleppten sie zum Rechtsanwalt, zur Psychologin - und schließlich zur Finanzberaterin. Denn wenigstens konnte ihr Anwalt bei der Scheidung eine ordentliche Abfindung heraushandeln. Die Idee eines Frauen-Investmentclubs findet Seitz gut. "Ich will in Zukunft einfach selbst die Kontrolle über mein Geld haben."

Macht aber Geld wirklich glücklich? Immer wieder studiere ich die Gesichter meiner Mitreisenden, belausche ihre Gespräche und werde nicht schlau daraus. Manche der Frauen sind schick gekleidet, frisiert und geschminkt. Andere wirken eher leger, reisen mit kleinem Gepäck und lachen viel. Einige regen sich sofort auf, wenn etwas schief geht. Andere sind meistens still. Die Altersspanne reicht von Anfang 20 bis Ende 60. Gemeinsam ist ihnen nur eines: ihr Faible für Aktien.

"Ich investiere schon länger gemeinsam mit meinem Mann", sagt Renate Müller, Beamtin in einem Stuttgarter Ministerium. "Doch ich finde es wichtig, dass Frauen auch selbstständig finanzielle Entscheidungen treffen. Und hier bei den Dagoberta können wir alle unser Wissen einbringen und auch erweitern. Es ist ein gegenseitiges Geben Nehmen, von dem alle nur profitieren." Da sie schon Anlage-Erfahrung hat, wurde sie im Mai 2000 Geschäftsführerin der Untergruppe Boersiana.



Aktien für die Kinder

"Zu den Dagoberta bin ich durch meine Kollegin Erika Grohmann gekommen", erzählt Brigitte Felten. Beide arbeiten als Präparatorinnen in einem Naturkundemuseum und haben das Thema "Geldanlage" als Hobby entdeckt. Ingeborg Teufel ist selbstständige Heilpraktikerin. Um Gelddinge hat sich früher ihr Mann gekümmert; doch seit sie sich getrennt haben, verwaltet sie ihre Finanzen allein. "Bei Dagoberta habe ich gelernt, wie ich mehr aus meinem Geld machen kann", sagt sie. Auf die New-York-Reise hat Teufel ihre Tochter Sandra mitgenommen, die gerade ihr Psychologie-Studium abgeschlossen hat. Auch sie hat mittlerweile ein Aktiendepot. Ansonsten reicht das Berufsspektrum von der Bankkauffrau über die Ingenieurin bis hin zur Krankenschwester. Auch Hausfrauen und Rentnerinnen sind dabei, sogar eine Moderatorin von Modeschauen.

Unsere Reise steht im Zeichen des Geldes, das merken wir schon bei der Stadtrundfahrt. New York ist teuer! Wolfgang Ramböck, ein Österreicher, der seit zehn Jahren in der Stadt lebt und für uns den Fremdenführer spielt, hat erstaunliche Zahlen parat: Ab 1250 Dollar (2600 Mark) pro Nacht kostet ein Hotelzimmer im Trump Tower, 650 Dollar (1350 Mark) im Monat allein der Parkplatz im noblen Apartment-Haus "Dakota" am Central Park. Dabei verdient ein Durchschnitts-Amerikaner lediglich 24 307 Dollar (50 000 Mark) im Jahr. Das reicht nicht aus für das Schulgeld an einem der besseren Colleges des Landes. Was tun also vorausschauende Eltern? Sie investieren in Aktien - für die Ausbildung ihrer Kinder!

Uns Touristinnen rutscht das Geld durch die Finger. Der Imbiss zwischendurch, die Eintrittspreise der Museen, die Oper am Abend und der Drink in der Hotelbar lassen die Barschaften schrumpfen. Am Nachmittag geht es los mit den harten Finanzthemen. Jürgen Nowacki und Ellen Sullivan von der internationalen Wertpapierhandelsbank Hornblower Fischer bereiten uns in einem Workshop auf die Börsenbesuche der nächsten Tage vor, erklären Trends und werfen mit Fachbegriffen nur so um sich...Schnell rauchen uns die Köpfe, aber dann gibt es doch noch einige praktische Tipps: Nowacki empfiehlt ein paar Biotech-Werte. Denn diese Sparte ist nicht so stark betroffen von der derzeitigen Krise der Technologie-Aktien. Biotechnologie weckt Menschheitsträume - auf Gesundheit, ein langes Leben, die Heilung schwerer Leiden. Aber auf welche der vielen jungen Biotech-Firmen soll man als Anlegerin langfristig setzen? Das löst unter den Dagoberta heftige Diskussionen aus.



Endlich an der Börse

Am Montag endlich sehen wir sie live: die Börsenhändler oder "Broker". Das sind die Menschen, die an den großen Börsen New Yorks - darunter die Wertpapier- und die Rohstoffbörse - die Geschäfte machen: Im Namen der Anleger kaufen und verkaufen sie Aktien. Es sind fast alles Männer. Manche tragen Anzüge oder bunte Jacken, an denen man erkennen kann, für welche Brokerfirma sie arbeiten. Sie brauchen laute Stimmen, spitze Ellenbogen und Nerven wie Drahtseile. Einige hängen am Telefon und nehmen Aufträge entgegen. Andere starren auf Bildschirme und geben Daten ein. Wieder andere gestikulieren wild und werfen mit Papier um sich. Und bei manchen hat man das Gefühl, sie täten alles gleichzeitig. Sogar essen; immer wieder werden Tabletts mit Hamburgern und Pommes frites hereingetragen.

Besonders hektisch geht es an der Rohstoff- und Warenbörse im so genannten World Financial Center zu. Hier wird nicht mit Anteilen an Firmen gehandelt wie an der Wertpapierbörse in der Wall Street. Sondern mit ganz konkreten Stoffen - Gold, Silber, Erdöl oder Aluminium. Die Geschäfte werden für einen bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen, der oft Monate, manchmal sogar Jahre entfernt ist. Um einen schnellen und fairen Handel zu garantieren, werden alle Handelsstufen wie Auftrag, Angebot und Abschluss eines Geschäfts auf die Sekunde genau festgehalten. Die Broker schreiben darum das Wichtigste auf weiße Karten und werfen diese einem so genannten "card clocker", einem Kartenstempler in der Mitte des Börsenstandes, zu. Der fängt sie in einem Netz auf und schiebt sie in eine Stempeluhr. Der arme Mann! Damit er von den Wurfgeschossen aus Karton nicht verletzt wird, muss er eine Schutzbrille tragen. An dieser Börse handeln keine Anleger, sondern Großhändler, die zum Beipiel schon Monate vorher eine bestimmte Ernte kaufen.



Frauen sind bessere Anleger

Sicheren Schritts bewegen sich die Dagoberta, angeführt von Reiseveranstalterin Angelika Vogt-Heideker, durch Flure, Drehtüren und Treppenhäuser der großen Glaspaläste. Schließlich sind sie keine gewöhnlichen Touristinnen, sondern Investorinnen. Immer wieder aber ernten sie erstaunte Männerblicke. So viele Frauen! Im Finanzdistrikt! Und Ausländerinnen noch dazu!

Dabei sind Frauen-Investmentclubs keine neue Erfindung. Laut Renate Feller von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), dem Dachverband für Investmentclubs mit Sitz in Düsseldorf, wurde der erste deutsche Aktienclub für Frauen bereits Ende der 60er-Jahre gegründet. Reiche Witwen mit wenig Ahnung von der Börse waren damals die Zielgruppe, Banker die Initiatoren. Heute ist es umgekehrt: Bei fast allen Frauen-Aktienclubs, die in den letzten Jahren gegründet wurden - zum Beispiel dem Hexensabbat Club aus Berlin, dem Münchner Wirtschaftsforum oder den Smart Ladies aus der Schweiz - geht die Initiative meist von den Frauen aus.

Gern werden in Investorinnen-Kreisen auch Studien aus den USA zitiert, die festgestellt haben, dass Frauen bessere Anleger sind als Männer - egal, ob sie allein oder im Club agieren. Ihr Hauptvorteil laut Terrance Odean und Brad Barber, die an der Universität von Kalifornien in Davis forschten: Frauen halten ihre Aktien länger als Männer. Männer schichten ihr Wertpapierdepot öfter um, in der Hoffnung, dadurch höhere Gewinne zu erzielen. Auf diese Weise zahlen sie jedoch mehr Gebühren und Steuern. Dass in Deutschland ein richtiger Aktienboom ausgebrochen ist, bestätigt unsere Münchner Reiseveranstalterin Angelika Vogt-Heideker: "Seit drei Jahren verkaufe ich mehr und mehr Börsenreisen."



Geld kann glücklich machen

Die Dagoberta sind inzwischen an der Nasdaq angekommen, genauer gesagt: am Presse- und Öffentlichkeitszentrum der relativ jungen elektronischen Börse am New Yorker Times Square. Paul, unser Gastgeber, häuft Superlativ auf Superlativ: 8000 Transaktionen pro Sekunde können die Rechenmaschinen der Nasdaq bewältigen, die in zwei großen Zentren in Connecticut und Maryland stehen. Allein die Videowand an der Außenfront des Gebäudes, in dem wir uns befinden, ist sieben Stockwerke hoch.

Gabriele Reimold, gelernte Zahnärztin, zurzeit Mutter und Mitarbeiterin in der Arztpraxis ihres Mannes, hat ein Spielzeug entdeckt: eine Konsole mit einem Computer-Börsenspiel. Fasziniert schaue ich ihr zu, wie sie per Knopfdruck in Bruchteilen von Sekunden virtuelle Aktien kauft und verkauft. Zwischendurch blinkt eine Meldung auf: "Glückwunsch! Sie haben Ihr Vermögen verdoppelt!" Gabriele Reimold beachtet sie kaum, so vertieft ist sie in die Verlaufskurven ihrer Kurse. Macht Geld glücklich? Oder ist es die Spannung des rasanten Spiels?

Beladen mit den letzten Einkäufen aus Manhattans Warenhäusern steigen wir in den Flughafen-Bus. Auf dem Rückflug schlafen alle tief und fest, so voll gepackt mit Eindrücken waren die vergangenen Tage. "Was war für Sie das Schönste?", frage ich Carmen Seitz, nachdem wir in Frankfurt gelandet sind. "Der gestrige Nachmittag", sagt die 58-Jährige. "Da bin ich ganz allein durch die Straßen Manhattans gegangen. Und ich habe mich prima zurechtgefunden, habe mich verständigen können, alles selbstständig und allein. So stark habe ich mich gefühlt! Als sei ich endlich erwachsen geworden!" Stolz schwingt in ihrer Stimme über die neu gewonnene Unabhängigkeit. Und ich muss Irmtraud Potkowski Recht geben: Geld kann glücklich machen.

JUDITH RAUCH



So funktioniert ein Investmentclub

Jeder Aktienclub, ob weibliche, männliche oder gemischte Mitglieder, arbeitet nach ähnlichen Prinzipien: Eine Gruppe Gleichgesinnter (ideal sind 15 bis 22 Personen, maximal 30 sind erlaubt) schließt sich zum gemeinsamen Wertpapiersparen zusammen. Man trifft sich regelmäßig, am besten einmal im Monat zu feststehenden Terminen. Am Anfang wird ein größeres Kapital auf ein gemeinsames Konto eingezahlt (zum Beispiel 1000 Mark pro Person), später ein monatlicher Beitrag (100 Mark pro Person). Davon werden Aktien gekauft und verkauft. Die Entscheidung, in welche Firmen investiert wird, trifft die Gruppe in gemeinsamen Diskussionen.

Als Rechtsform für einen Investmentclub hat sich die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) bewährt. Die Mitglieder schließen untereinander einen schriftlichen Vertrag, in dem zum Beispiel geregelt wird, ob Gewinne jährlich ausgeschüttet oder reinvestiert werden und was beim Ausscheiden eines Mitglieds geschieht. Dann wählen sie aus den eigenen Reihen für jeweils ein Jahr einen Geschäftsführer, einen Schatzmeister, einen Schriftführer und deren Stellvertreter. Die Ämter sollten von Zeit zu Zeit wechseln, damit jedes Mitglied sich bewähren kann.

Überhaupt lebt ein Aktienclub von der aktiven Mitarbeit. So beobachtet jede Dagoberta eine oder mehrere Aktien, für die sie sich persönlich interessiert. Brigitte Felten etwa liest alles über Coca-Cola und verfolgt den Börsenkurs des Konzerns. Aktienclub-Fans loben den Lerneffekt, der durch diese "Hausaufgaben" rasch entsteht. Für Investoren, die dafür keine Zeit oder keine Lust haben, ist ein Aktienclub allerdings nicht das Richtige. Sie sollten sich bei ihren Investment-Entscheidungen lieber von unabhängigen Finanzplanern beraten lassen. (jr)


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