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Auf Onkel Dagoberts Spuren
Sind Frauen vielleicht doch die besseren Anleger?
"Geld allein macht
nicht glücklich", sagt ein Sprichwort. Wenn sie das
hört, kann sich Irmtraud Potkowski ziemlich aufregen. "Geld
ist doch die Grundlage für Freiheit, für Sicherheit,
Unabhängigkeit und für ein angenehmes Leben",
behauptet die Finanzberaterin aus Ludwigsburg. "Gerade Frauen sollten
das wissen, weil sie finanziell oft von anderen Personen
abhängig sind!" Die 48-jährige studierte Volkswirtin
und Mutter von vier Kindern ist der lebende Beweis für diese
These.
Nachdem sie beruflich schon verschiedene Wege gegangen ist - unter
anderem hat sie Gruppenreisen organisiert und in der Arztpraxis ihres
Mannes gearbeitet -, scheint sie gerade zu einem wahren
Höhenflug anzusetzen. Irmtraud Potkowski ist
selbstständige Finanzplanerin bei einer Beratungsgesellschaft,
die Menschen hilft, sich richtig zu versichern und ihr Geld
gewinnbringend anzulegen. Ihre Kundenzahl wächst, ihre
Abteilung expandiert. Die Zielgruppe: Frauen.
1999 hat sie zusammen mit ihrer ersten Mitarbeiterin, der
39-jährigen Betriebswirtin Andrea Sauter, eine Marktnische
für sich entdeckt und einen besonderen Coup gelandet. Die
beiden riefen - bei Seminaren und Beratungen, aber auch per
Zeitungsmeldung - zur Gründung des ersten Ludwigsburger
Frauen-Investmentclubs auf. "Frauen interessieren sich durchaus
für Aktien", hatte Andrea Sauter bei
Beratungsgesprächen festgestellt. "Den meisten fehlt nur ein
wenig Know-how und Erfahrung." Gemeinsam, so die Überlegung,
könnte man leichter ans Ziel kommen"
Die Idee schlug ein. Beim ersten Treffen am 19. Juni 1999
drängten sich schon über 50 interessierte Frauen in
einem engen Schulungsraum, zum zweiten Treffen kamen mehr als hundert.
Irmtraud Potkowski und Andrea Sauter blieb nichts anderes
übrig, als Untergruppen zu bilden. Die erste Gruppe, die nach
ein paar Wochen Vorbereitungszeit tatsächlich Geld auf den
Tisch legte und Aktien kaufte, nannte sich - in Anlehnung an den
reichen Onkel Dagobert in den Donald-Duck-Comics - Dagoberta. Dagoberta
gab dem ganzen Club den Namen, auch wenn inzwischen sieben weitere
Gruppen mit originellen Bezeichnungen entstanden sind: Boersiana,
Fortuna, Pecunia und Moneypenny beispielsweise.
Das erste Börsenjahr verlief gut für die Dagoberta.
Im Juli 2000 verzeichneten die Depots satte Gewinne von bis zu 30
Prozent. Vor allem die Aktien der Firmen Nokia und Cisco hatten sich in
dem Zeitraum sehr positiv entwickelt. Auch wenn die Entwicklung in
diesen Branchen nicht mehr so gut ist, gilt immer noch die gleiche
Strategie, wie Irmtraud Potkowski erläutert: "Wir setzen auf
solide Werte in Branchen, die großes Wachstumspotenzial
haben." Irgendwann kam die Idee auf, sich einmal etwas Besonderes zu
gönnen: eine Reise an die Wall Street nach New York, dem Mekka
der Börsianer! "Doch, ich war schon in New York", sagt Carmen
Seitz, als wir über dem Atlantik schweben. "Aber immer nur mit
meinem Mann. Nie allein." Streng genommen reist sie auch jetzt nicht
allein, schließlich sind wir eine Gruppe von 29 Frauen. Aber
es ist klar, was sie meint.
Geben
und Nehmen
Carmen Seitz war 35
Jahre mit einem Unternehmer verheiratet. Nach ihm und seiner Firma, in
der sie mitarbeitete, hatte sie ihr ganzes Leben ausgerichtet,
erzählt sie. Selbst die zwei Kinder kamen oft zu kurz. Vor
drei Jahren hat er sie wegen einer Jüngeren verlassen. Die
Zeit danach war schlimm für Carmen Seitz. Nur ihre Freundinnen
hielten sie aufrecht, schleppten sie zum Rechtsanwalt, zur Psychologin
- und schließlich zur Finanzberaterin. Denn wenigstens konnte
ihr Anwalt bei der Scheidung eine ordentliche Abfindung heraushandeln.
Die Idee eines Frauen-Investmentclubs findet Seitz gut. "Ich will in
Zukunft einfach selbst die Kontrolle über mein Geld haben."
Macht aber Geld wirklich glücklich? Immer wieder studiere ich
die Gesichter meiner Mitreisenden, belausche ihre Gespräche
und werde nicht schlau daraus. Manche der Frauen sind schick gekleidet,
frisiert und geschminkt. Andere wirken eher leger, reisen mit kleinem
Gepäck und lachen viel. Einige regen sich sofort auf, wenn
etwas schief geht. Andere sind meistens still. Die Altersspanne reicht
von Anfang 20 bis Ende 60. Gemeinsam ist ihnen nur eines: ihr Faible
für Aktien.
"Ich investiere schon länger gemeinsam mit meinem Mann", sagt
Renate Müller, Beamtin in einem Stuttgarter Ministerium. "Doch
ich finde es wichtig, dass Frauen auch selbstständig
finanzielle Entscheidungen treffen. Und hier bei den Dagoberta
können wir alle unser Wissen einbringen und auch erweitern. Es
ist ein gegenseitiges Geben Nehmen, von dem alle nur profitieren." Da
sie schon Anlage-Erfahrung hat, wurde sie im Mai 2000
Geschäftsführerin der Untergruppe Boersiana.
Aktien für die Kinder
"Zu den Dagoberta bin ich durch meine Kollegin Erika Grohmann
gekommen", erzählt Brigitte Felten. Beide arbeiten als
Präparatorinnen in einem Naturkundemuseum und haben das Thema
"Geldanlage" als Hobby entdeckt. Ingeborg Teufel ist
selbstständige Heilpraktikerin. Um Gelddinge hat sich
früher ihr Mann gekümmert; doch seit sie sich
getrennt haben, verwaltet sie ihre Finanzen allein. "Bei Dagoberta habe
ich gelernt, wie ich mehr aus meinem Geld machen kann", sagt sie. Auf
die New-York-Reise hat Teufel ihre Tochter Sandra mitgenommen, die
gerade ihr Psychologie-Studium abgeschlossen hat. Auch sie hat
mittlerweile ein Aktiendepot. Ansonsten reicht das Berufsspektrum von
der Bankkauffrau über die Ingenieurin bis hin zur
Krankenschwester. Auch Hausfrauen und Rentnerinnen sind dabei, sogar
eine Moderatorin von Modeschauen.
Unsere Reise steht im Zeichen des Geldes, das merken wir schon bei der
Stadtrundfahrt. New York ist teuer! Wolfgang Ramböck, ein
Österreicher, der seit zehn Jahren in der Stadt lebt und
für uns den Fremdenführer spielt, hat erstaunliche
Zahlen parat: Ab 1250 Dollar (2600 Mark) pro Nacht kostet ein
Hotelzimmer im Trump Tower, 650 Dollar (1350 Mark) im Monat allein der
Parkplatz im noblen Apartment-Haus "Dakota" am Central Park. Dabei
verdient ein Durchschnitts-Amerikaner lediglich 24 307 Dollar (50 000
Mark) im Jahr. Das reicht nicht aus für das Schulgeld an einem
der besseren Colleges des Landes. Was tun also vorausschauende Eltern?
Sie investieren in Aktien - für die Ausbildung ihrer Kinder!
Uns Touristinnen rutscht das Geld durch die Finger. Der Imbiss
zwischendurch, die Eintrittspreise der Museen, die Oper am Abend und
der Drink in der Hotelbar lassen die Barschaften schrumpfen. Am
Nachmittag geht es los mit den harten Finanzthemen. Jürgen
Nowacki und Ellen Sullivan von der internationalen
Wertpapierhandelsbank Hornblower Fischer bereiten uns in einem Workshop
auf die Börsenbesuche der nächsten Tage vor,
erklären Trends und werfen mit Fachbegriffen nur so um
sich...Schnell rauchen uns die Köpfe, aber dann gibt es doch
noch einige praktische Tipps: Nowacki empfiehlt ein paar Biotech-Werte.
Denn diese Sparte ist nicht so stark betroffen von der derzeitigen
Krise der Technologie-Aktien. Biotechnologie weckt
Menschheitsträume - auf Gesundheit, ein langes Leben, die
Heilung schwerer Leiden. Aber auf welche der vielen jungen
Biotech-Firmen soll man als Anlegerin langfristig setzen? Das
löst unter den Dagoberta heftige Diskussionen aus.
Endlich an der Börse
Am Montag endlich
sehen wir sie live: die Börsenhändler oder "Broker".
Das sind die Menschen, die an den großen Börsen New
Yorks - darunter die Wertpapier- und die Rohstoffbörse - die
Geschäfte machen: Im Namen der Anleger kaufen und verkaufen
sie Aktien. Es sind fast alles Männer. Manche tragen
Anzüge oder bunte Jacken, an denen man erkennen kann,
für welche Brokerfirma sie arbeiten. Sie brauchen laute
Stimmen, spitze Ellenbogen und Nerven wie Drahtseile. Einige
hängen am Telefon und nehmen Aufträge entgegen.
Andere starren auf Bildschirme und geben Daten ein. Wieder andere
gestikulieren wild und werfen mit Papier um sich. Und bei manchen hat
man das Gefühl, sie täten alles gleichzeitig. Sogar
essen; immer wieder werden Tabletts mit Hamburgern und Pommes frites
hereingetragen.
Besonders hektisch geht es an der Rohstoff- und Warenbörse im
so genannten World Financial Center zu. Hier wird nicht mit Anteilen an
Firmen gehandelt wie an der Wertpapierbörse in der Wall
Street. Sondern mit ganz konkreten Stoffen - Gold, Silber,
Erdöl oder Aluminium. Die Geschäfte werden
für einen bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen, der oft Monate,
manchmal sogar Jahre entfernt ist. Um einen schnellen und fairen Handel
zu garantieren, werden alle Handelsstufen wie Auftrag, Angebot und
Abschluss eines Geschäfts auf die Sekunde genau festgehalten.
Die Broker schreiben darum das Wichtigste auf weiße Karten
und werfen diese einem so genannten "card clocker", einem
Kartenstempler in der Mitte des Börsenstandes, zu. Der
fängt sie in einem Netz auf und schiebt sie in eine
Stempeluhr. Der arme Mann! Damit er von den Wurfgeschossen aus Karton
nicht verletzt wird, muss er eine Schutzbrille tragen. An dieser
Börse handeln keine Anleger, sondern
Großhändler, die zum Beipiel schon Monate vorher
eine bestimmte Ernte kaufen.
Frauen sind bessere Anleger
Sicheren Schritts
bewegen sich die Dagoberta, angeführt von Reiseveranstalterin
Angelika Vogt-Heideker, durch Flure, Drehtüren und
Treppenhäuser der großen Glaspaläste.
Schließlich sind sie keine gewöhnlichen
Touristinnen, sondern Investorinnen. Immer wieder aber ernten sie
erstaunte Männerblicke. So viele Frauen! Im Finanzdistrikt!
Und Ausländerinnen noch dazu!
Dabei sind Frauen-Investmentclubs keine neue Erfindung. Laut Renate
Feller von der Deutschen Schutzvereinigung für
Wertpapierbesitz (DSW), dem Dachverband für Investmentclubs
mit Sitz in Düsseldorf, wurde der erste deutsche Aktienclub
für Frauen bereits Ende der 60er-Jahre gegründet.
Reiche Witwen mit wenig Ahnung von der Börse waren damals die
Zielgruppe, Banker die Initiatoren. Heute ist es umgekehrt: Bei fast
allen Frauen-Aktienclubs, die in den letzten Jahren gegründet
wurden - zum Beispiel dem Hexensabbat Club aus Berlin, dem
Münchner Wirtschaftsforum oder den Smart Ladies aus der
Schweiz - geht die Initiative meist von den Frauen aus.
Gern werden in Investorinnen-Kreisen auch Studien aus den USA zitiert,
die festgestellt haben, dass Frauen bessere Anleger sind als
Männer - egal, ob sie allein oder im Club agieren. Ihr
Hauptvorteil laut Terrance Odean und Brad Barber, die an der
Universität von Kalifornien in Davis forschten: Frauen halten
ihre Aktien länger als Männer. Männer
schichten ihr Wertpapierdepot öfter um, in der Hoffnung,
dadurch höhere Gewinne zu erzielen. Auf diese Weise zahlen sie
jedoch mehr Gebühren und Steuern. Dass in Deutschland ein
richtiger Aktienboom ausgebrochen ist, bestätigt unsere
Münchner Reiseveranstalterin Angelika Vogt-Heideker: "Seit
drei Jahren verkaufe ich mehr und mehr Börsenreisen."
Geld kann glücklich machen
Die Dagoberta sind
inzwischen an der Nasdaq angekommen, genauer gesagt: am Presse- und
Öffentlichkeitszentrum der relativ jungen elektronischen
Börse am New Yorker Times Square. Paul, unser Gastgeber,
häuft Superlativ auf Superlativ: 8000 Transaktionen pro
Sekunde können die Rechenmaschinen der Nasdaq
bewältigen, die in zwei großen Zentren in
Connecticut und Maryland stehen. Allein die Videowand an der
Außenfront des Gebäudes, in dem wir uns befinden,
ist sieben Stockwerke hoch.
Gabriele Reimold, gelernte Zahnärztin, zurzeit Mutter und
Mitarbeiterin in der Arztpraxis ihres Mannes, hat ein Spielzeug
entdeckt: eine Konsole mit einem Computer-Börsenspiel.
Fasziniert schaue ich ihr zu, wie sie per Knopfdruck in Bruchteilen von
Sekunden virtuelle Aktien kauft und verkauft. Zwischendurch blinkt eine
Meldung auf: "Glückwunsch! Sie haben Ihr Vermögen
verdoppelt!" Gabriele Reimold beachtet sie kaum, so vertieft ist sie in
die Verlaufskurven ihrer Kurse. Macht Geld glücklich? Oder ist
es die Spannung des rasanten Spiels?
Beladen mit den letzten Einkäufen aus Manhattans
Warenhäusern steigen wir in den Flughafen-Bus. Auf dem
Rückflug schlafen alle tief und fest, so voll gepackt mit
Eindrücken waren die vergangenen Tage. "Was war für
Sie das Schönste?", frage ich Carmen Seitz, nachdem wir in
Frankfurt gelandet sind. "Der gestrige Nachmittag", sagt die
58-Jährige. "Da bin ich ganz allein durch die
Straßen Manhattans gegangen. Und ich habe mich prima
zurechtgefunden, habe mich verständigen können, alles
selbstständig und allein. So stark habe ich mich
gefühlt! Als sei ich endlich erwachsen geworden!" Stolz
schwingt in ihrer Stimme über die neu gewonnene
Unabhängigkeit. Und ich muss Irmtraud Potkowski Recht geben:
Geld kann glücklich machen.
JUDITH RAUCH
So funktioniert ein Investmentclub
Jeder Aktienclub, ob
weibliche, männliche oder gemischte Mitglieder, arbeitet nach
ähnlichen Prinzipien: Eine Gruppe Gleichgesinnter (ideal sind
15 bis 22 Personen, maximal 30 sind erlaubt) schließt sich
zum gemeinsamen Wertpapiersparen zusammen. Man trifft sich
regelmäßig, am besten einmal im Monat zu
feststehenden Terminen. Am Anfang wird ein größeres
Kapital auf ein gemeinsames Konto eingezahlt (zum Beispiel 1000 Mark
pro Person), später ein monatlicher Beitrag (100 Mark pro
Person). Davon werden Aktien gekauft und verkauft. Die Entscheidung, in
welche Firmen investiert wird, trifft die Gruppe in gemeinsamen
Diskussionen.
Als Rechtsform für einen Investmentclub hat sich die
Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) bewährt. Die
Mitglieder schließen untereinander einen schriftlichen
Vertrag, in dem zum Beispiel geregelt wird, ob Gewinne
jährlich ausgeschüttet oder reinvestiert werden und
was beim Ausscheiden eines Mitglieds geschieht. Dann wählen
sie aus den eigenen Reihen für jeweils ein Jahr einen
Geschäftsführer, einen Schatzmeister, einen
Schriftführer und deren Stellvertreter. Die Ämter
sollten von Zeit zu Zeit wechseln, damit jedes Mitglied sich
bewähren kann.
Überhaupt lebt ein Aktienclub von der aktiven Mitarbeit. So
beobachtet jede Dagoberta eine oder mehrere Aktien, für die
sie sich persönlich interessiert. Brigitte Felten etwa liest
alles über Coca-Cola und verfolgt den Börsenkurs des
Konzerns. Aktienclub-Fans loben den Lerneffekt, der durch diese
"Hausaufgaben" rasch entsteht. Für Investoren, die
dafür keine Zeit oder keine Lust haben, ist ein Aktienclub
allerdings nicht das Richtige. Sie sollten sich bei ihren
Investment-Entscheidungen lieber von unabhängigen
Finanzplanern beraten lassen. (jr)
Über die Dagobertas ist auch ein Buch
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