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       Flüchtlingsströme 
        - ein globales Phänomen 
							 
        Hans Koschnick, SPD, Ex-Bürgermeister 
        von Bremen, bekannt und geehrt für seinen Einsatz als EU-Administrator 
        in Mostar (Bosnien-Herzegowina) von 1994 bis 1996, im Gespräch mit 
        Judith Rauch 
         
        Reader´s Digest: Weltweit 
        sind nach UN-Angaben mehr als 22 Millionen Menschen auf der Flucht. Was 
        sind die Hauptursachen dafür? 
         
         
        Hans Koschnick: Erste Fluchtursache sind vom Menschen verursachte Katastrophen: 
        Krieg, Bürgerkrieg, Chauvinismus, Nationalismus, manchmal auch Religionswahn. 
        Dann gibt es Fluchtbewegungen, die durch menschliche Fehler entstanden 
        sind, weil man sich nicht rechtzeitig gegen erkennbare Naturkatastrophen 
        gewehrt oder sich nicht vorbereitet hat. In Bangla Desh zum Beispiel: 
        Es muß nicht sein, daß dort Jahr für Jahr 40 000, 80 
        000 oder gar 100 000 Menschen ersaufen, weil die Sturmfluten kommen. Man 
        dürfte in den gefährdeten Regionen nicht siedeln. Und es gibt 
        dann noch Katastrophen, die unabwenRDar sind, weil die Natur explodiert 
        und man nicht helfen kann. Etwa in der Sahelzone, wenn die Wüste 
        vordringt und der Hunger die Menschen zur Flucht bewegt. Manchmal auch 
        eine falsche Politik: Das Verdammen von Familienplanung zum Beispiel hat 
        viel Elend auf die Welt gebracht. Das alles sind Faktoren, die Menschen 
        bewegen, die Heimat, die eigene Region zu verlassen. 
         
        RD: Wer trägt denn die Hauptlast der Flüchtlingsströme? 
        Sind es die reichen Länder? 
         
        Koschnick: Nein. Wenn man die große Zahl der Flüchtlinge in 
        Asien und Afrika sieht, leiden die Menschen dort besonders erbärmlich, 
        aber materiell tragen Länder Lasten, die der eigenen Bevölkerung 
        nicht einmal ein Mindestmaß an Wohlstand bieten können. Ich 
        sage das auch in Bezug auf die Bosnien-Flüchtlinge in Deutschland. 
        Wir haben 330 000 aufgenommen - objektiv die größte Zahl der 
        Menschen, die aus Bosnien-Herzegowina kommend ein Refugium im Ausland 
        gefunden haben. Bezogen auf die Bevölkerung hat Kroatien mehr getragen 
        - nämlich 150 000. Und Kroatien geht es nicht sehr gut. Pro Nase 
        gerechnet, hat Schweden mehr getragen als wir - gut, Schweden ist ein 
        vermögendes Land. Viele Flüchtlinge sind nach Italien gegangen, 
        nach Österreich, auch Slowenien hat viel getan. Serbien hat Flüchtlinge 
        aufgenommen - wenn auch nur Serben. Sie alle haben einen Teil der humanitären 
        Nachsorge übernommen. Aber es bleibt die Frage: Wäre nicht Prävention 
        wichtiger gewesen als hinterher zu helfen?  
         
        RD: Wie kann man Fluchtursachen vorbeugen? 
        Was gibt es an Frühwarnsystemen?  
         
        Koschnick: Die haben wir. Die Agenda 2000. Die Konferenz von Rio über 
        die Naturkatastrophen. Wir haben in Europa die OSZE, früher KSZE, 
        die Krisen rechtzeitig erkennen soll, damit man ohne Waffengewalt dafür 
        sorgen kann, daß es nicht zu einem Konflikt kommt. Aber wir dürfen 
        von der OSZE aus nicht nur die Regierungen fragen. Wenn man sieht, im 
        Lande brodelt es, daß Dämme aufbrechen - dann muß man 
        alle Seiten anschauen. In Jugoslawien haben wir zur Verhinderung des jugoslawischen 
        Bürgerkrieges mit der Bundesregierung geesprochen. Zu einer Zeit, 
        als Slowenen, Kroaten, Makedonier, auch schon die Bosnier anfingen zu 
        sagen: Wir wollen raus aus diesem Laden. Aber unser Partner war allein 
        die Bundesregierung, die schon damals machtlos geworden war, weil die 
        Serben wichtige Funktionen des Staates übernommen hatten. Formal 
        mache ich keinem einen Vorwurf, aber ob das ganz klug war?  
         
        RD: Hat sich da etwas 
        geändert?  
         
        Koschnick: Wir beginnen heute, mit den Betroffenen zu sprechen, überall 
        da, wo diese politischen Veränderungen auftauchen. Um Lösungen 
        möglich zu machen, die nicht Gewalt bedeuten. Wie jetzt in Albanien, 
        wo der frühere österreichische Bundeskanzler Franz Vranitzky 
        Wege gefunden hat, ohne Gewalt eine gewisse Beruhigung zu erreichen. In 
        Tbilisi in Georgien haben wir einiges erreicht, und wir versuchen das 
        mit Armenien und Aserbaidschan.  
         
        RD: Die EU-Administration in Mostar war 
        etwas ganz Neues. Aber ist sie nicht letztlich gescheitert? 
         
        Koschnick: Es war die erste Aktion der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik 
        nach Maastricht. Wir hatten erkannt, daß die früheren Bemühungen 
        der europäischen Gemeinschaft nicht hinreichend waren und wollten 
        jetzt zum ersten Mal die Energien der europäischen Länder in 
        gemeinsamen Maßnahmen bündeln. Es ist nicht gelungen. Die Bemühungen 
        der deutschen Bundesregierung, dem EU-Administrator mehr Vollmachten zu 
        geben, ist an den nationalen Eifersüchteleien der Staaten gescheitert. 
        Hoffen wir, daß der nächste Schritt, der jetzt in Amsterdam 
        beschlossen worden ist, hilfreich sein wird: mindestens gemeinsame Krisen- 
        und Planungsstäbe aufzubauen, Untersuchungen gemeinsam zu machen. 
         
        Die Amerikaner werfen uns Europäern ja zu Recht vor, daß wir 
        einfache Fragen des europäischen Kontinents nicht fähig sind, 
        allein zu lösen, sondern immer wieder sie fragen. Sie wollten nicht 
        in Jugoslawien beteiligt sein. Weil sie wußten, wenn sie nach Jugoslawien 
        gehen, müssen sie die Russen mitnehmen, um da keine Spannungen aufkommen 
        zu lassen. Tito hat die Russen 50 Jahre von der Adria weggehalten - wir 
        haben sie hergeholt. Das ist schon eine besondere Leistung der europäischen 
        Politik!  
         
        RD: Wird es solche Administrationen noch 
        öfter geben?  
         
        Koschnick: Ich denke wohl. Wo immer Europa gefordert wird und wir meinen, 
        wir können damit Frieden sichern. Denn der Grundgedanke war absolut 
        richtig: Wir wollten unsere ökonomischen, unsere umweltpolitischen, 
        unsere humanitären Ressourcen nutzen, um ein Klima für Frieden 
        zu schaffen - und nicht nur Militärdiplomatie betreiben. Das war 
        eine absolut richtige Position - diese wird bleiben. Da war auch in Mostar 
        kein Versagen. Versagt geblieben ist die Erfüllung des Wunsches, 
        die Menschen zusammenzubringen. Aber wenn nationalistische Führer 
        noch so viel Einfluß haben, um das zu verhindern, ist das ein Problem 
        der Zeitgeschichte, nicht so sehr das Versagen eines Auftrages.  
         
        RD: Was wird Europa aus diesen Erfahrungen 
        lernen?  
         
        Koschnick: Wenn wir in Europa unsere eigene Zukunft gestalten wollen und 
        nicht abhängig werden wollen von dem amerikanischen, japanischen 
        oder chinesischen Markt, dann müssen wir etwas Eigenes mitbringen. 
        Und das ist nicht Ökonomie alleine. Nicht nur eine gemeinsame Währung 
        oder eine gemeinsame Agrarwirtschaft, sondern es geht um die Frage: Sind 
        wir in der Lage, gemeinsam zu denken? Und sind wir wirklich bereit, für 
        das, was Europa ausmacht - nämlich die Vielzahl von Kulturen - und 
        eine gemeinsame Position zu den Menschenrechten einzutreten? Kein "melting 
        polt" - kein Schmelztiegel. Aber verantwortlich die Brücke zu 
        sehen, die uns trägt. 
         
        INTERVIEW: JUDITH RAUCH 
         
      
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